Briefing
Neues vom BGH zur Vorsatzanfechtung – was Unternehmen jetzt wissen müssen
Die Insolvenzanfechtung hat als Mittel zur Anreicherung der Masse im Laufe der Zeit erheblich an Bedeutung gewonnen. Unternehmen sehen sich zunehmend Anfechtungsklagen von Insolvenzverwaltern ehemaliger Geschäftspartner ausgesetzt.
Im täglichen Geschäftsverkehr lässt sich das Risiko einer erfolgreichen Vorsatzanfechtung durch eine umsichtige Vertragsgestaltung und ein engmaschiges Monitoring des Zahlungsverhaltens verringen. Ausschließen lässt es sich nicht. Denn die anfechtungsfreundliche Rechtsprechungslinie des BGH führte dazu, dass der Interessenkonflikt zwischen der Gesamtheit der Gläubiger eines insolventen Unternehmens und des Zahlungsempfängers überwiegend zu Lasten des Zahlungsempfängers ausging. Maßgeblichen Anteil daran hat der Tatbestand der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO, dessen Voraussetzungen der BGH in der Vergangenheit immer weiter gelockert hat. Die Anfechtungsreform 2017, mit der der Gesetzgeber versuchte, den ausufernden Anwendungsbereich der Vorsatzanfechtung zumindest teilweise einzudämmen, führte zunächst nicht zu wesentlichen Änderungen in der Praxis und Rechtsprechung.
Nunmehr: Erhöhte Anforderungen an den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes
In einem vielbeachteten Urteil vom 6. Mai 2021 (Az. IX ZR 72/20) hat der BGH nun seine Rechtsprechung zu der Frage fortentwickelt, wann die Kenntnis eines Gläubigers von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Schuldners dazu führen kann, dass der Gläubiger vor der Insolvenz erhaltene Zahlungen an den Insolvenzverwalter erstatten muss. Diese vom BGH selbst als „Neuausrichtung“ bezeichnete Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung hat der BGH zwischenzeitlich in einer Reihe von Urteilen aus diesem Jahr fortgeführt und konkretisiert.
Erkannte Zahlungsunfähigkeit für Annahme des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes zukünftig allein nicht mehr ausreichend
Bislang hatte der BGH in ständiger Rechtsprechung allein aus der Kenntnis der Organmitglieder einer Gesellschaft (Insolvenzschuldner) von deren Zahlungsunfähigkeit auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geschlossen. Entsprechend ging der BGH davon aus, dass ein Anfechtungsgegner, der um die Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners weiß, auch Kenntnis von dessen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz hat. Kombiniert mit gesetzlichen wie auch höchstrichterlich etablierten Vermutungs- und Beweislastregeln gelang es dem Insolvenzverwalter so ohne große Schwierigkeiten, auch Zahlungen weit vor Insolvenzantragstellung anzufechten. Von dieser anfechtungsfreundlichen Rechtsprechung rückte der BGH nun ab und erhöhte die Anforderungen an den Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes im Rahmen des § 133 InsO.
Zukünftig reiche es nicht mehr aus, dass der Insolvenzschuldner im Zeitpunkt der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung seine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit kennt. Entscheidend sei, dass er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht in der Lage sein wird, alle seine Gläubiger zu befriedigen und der Anfechtungsgegner davon Kenntnis hat. Dafür komme es, so der BGH im Urteil vom 3. März 2022 (Az. IX ZR 78/20), entscheidend auf das zutage getretene Ausmaß der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners an. Lediglich in Fällen, in denen die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit ein Ausmaß angenommen habe, das eine vollständige Befriedung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt, etwa weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint, liege die Annahme eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes nahe. Besteht dagegen mit Blick auf die momentane Liquiditätslage eine berechtigte Hoffnung auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit, sei in der Regel nicht von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners auszugehen. Im Urteil vom 3. März 2022 (Az. IX ZR 78/20) stellte der BGH klar, dass der erhebliche Zeitraum für die Vorstellung des Insolvenzschuldners, seine anderen Gläubiger zu einem späteren Zeitpunkt vollständig befriedigen zu können, nicht durch die Insolvenzantragspflicht von drei Wochen ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO) begrenzt ist.
In seinem Urteil vom 6. Mai 2021 nahm der BGH zudem Abstand von der bisherigen Rechtsprechung, wonach allein die erkannte drohende Zahlungsunfähigkeit zum Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Insolvenzschuldners und der Kenntnis des anderen Teils derselben ausreichte. Zukünftig seien weitere Indizien erforderlich, um Leistungen bei erkannter nur drohender Zahlungsunfähigkeit anzufechten (z.B. die gezielte Befriedigung einzelner und womöglich nahestehender Altgläubiger außerhalb des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs).
Darlegungs- und beweisbelastet für die tatsächlichen Umstände, die über die erkannte (drohende) Zahlungsunfähigkeit hinaus für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem erforderlich sind, ist der Insolvenzverwalter. Dieser müsse daher neben der Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners zukünftig auch die negative Tatsache nachweisen, dass keine begründete Aussicht auf Beseitigung der Deckungslücke besteht.
Dies steht in einer Linie mit drei weiteren Urteilen des BGH, in denen dieser die Darlegungs- und Beweislast des Insolvenzverwalters betonte:
- In dem oben genannten Urteil vom 3. März 2022 (Az. IX ZR 78/20) hielt der BGH fest, dass der Insolvenzverwalter für die Annahme des Benachteiligungsvorsatzes im Falle eines Sanierungsversuches des Insolvenzschuldners darzulegen und zu beweisen habe, dass dieser Sanierungsversuch untauglich war und der Insolvenzschuldner dies erkannt oder billigend in Kauf genommen hat.
- In einem weiteren Urteil vom 3. März 2022 (Az. IX ZR 53/19) betonte der BGH, dass der Insolvenzverwalter, der sich im Insolvenzanfechtungsprozess zum Nachweis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht auf die Überschuldung des Insolvenzschuldners berufe, sowohl die rechnerische Überschuldung i.S.d. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO als auch die negative Fortführungsprognose darlegen und beweisen müsse.
- Schließlich entschied der BGH mit Urteil vom 23. Juni 2022 (Az. IX ZR 75/21), dass der Gläubiger als Anfechtungsgegner auf schlüssige Angaben des Schuldners oder des von ihm beauftragten Sanierungsberaters zum Sanierungskonzept vertrauen darf und nicht verpflichtet ist, die laufende Umsetzung des Konzepts zu überprüfen.
Sekundäre Darlegungslast des Insolvenzverwalters bezüglich Wiederaufnahme der Zahlungen nach einer Zahlungseinstellung
In der Praxis wird der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz regelmäßig auf eine Zahlungseinstellung des Insolvenzschuldners und die daraus gem. § 17 Abs. 2 S. 2 InsO folgende Vermutung der Zahlungsunfähigkeit gestützt. Nach der Rechtsprechung des BGH wirkt eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung fort, bis der Insolvenzschuldner seine Zahlungen im Allgemeinen wiederaufnimmt. Die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlungen hatte nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH der Anfechtungsgegner darzulegen und zu beweisen.
Davon nahm der BGH mit Urteil vom 10. Februar 2022 (Az. IX ZR 148/19) Abstand und räumte ein, dass dem Anfechtungsgegner damit in vielen Fällen Unmögliches abverlangt werde: Der Anfechtungsgegner kenne regelmäßig nur das Zahlungsverhalten des Insolvenzschuldners ihm gegenüber und wisse nicht, ob der Insolvenzschuldner den wesentlichen Teil seiner übrigen Verbindlichkeiten bedient habe. Die Darlegung der allgemeinen Wiederaufnahme der Zahlungen sei ihm daher unmöglich. Zukünftig treffe den Insolvenzverwalter eine sekundäre Darlegungslast zum Zahlungsverhalten des Insolvenzschuldners im Übrigen, insbesondere zu weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten, wenn der Anfechtungsgegner einen Umstand nachweist oder ein solcher unstreitig ist, der eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen als möglich erscheinen lässt.
Gleichbleibendes, dauerhaft schleppendes Zahlungsverhalten kein ausreichendes Indiz für Zahlungseinstellung
Relevanz für die Verteidigung gegen Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters dürften zudem die Äußerungen des BGH im Urteil vom 10. Februar 2022 zur Aussagekraft eines – in der Praxis recht häufig vorkommenden – dauerhaft schleppenden Zahlungsverhaltens des Insolvenzschuldners für die Annahme einer Zahlungseinstellung erlangen. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte die Insolvenzschuldnerin über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren zahlreiche Einzelzahlungen geleistet, die regelmäßig verspätet waren und daraufhin von der Anfechtungsgegnerin angemahnt wurden. Das Zahlungsverhalten blieb bis zur Insolvenz im Wesentlichen gleich und die Höhe der Rückstände konstant. Der BGH entschied, dass ein nicht wesentlich verändertes Zahlungsverhalten mit zunehmender Dauer seine Bedeutung verliere für die Annahme einer später zutage getretenen Zahlungseinstellung. In einem Urteil vom 28. April 2022 (Az. IX ZR 48/21) hat der BGH zwischenzeitlich bestätigt, dass ein gleichbleibendes, konstant schleppendes Zahlungsverhalten ohne Weiteres kein ausreichendes Indiz darstellt, um eine Zahlungseinstellung zu begründen.
Zeitenwende? Nein, aber Verbesserung der Verteidigungsmöglichkeiten für Anfechtungsgegner
Die Änderung der Rechtsprechung könnte zukünftig für den Insolvenzverwalter den Nachweis der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung und damit die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen erschweren. Entsprechend stärkte der BGH die Position der Gläubiger, die einer Vorsatzanfechtung ausgesetzt sind oder dies befürchten.
Ob die Entscheidungen des BGH in der Praxis und der Rechtsprechung zu der anvisierten und dringend notwendigen Eindämmung der Vorsatzanfechtung führen wird, bleibt abzuwarten. In seinem Urteil vom 6. Mai 2021 wies der BGH selbst daraufhin, dass die Neuausrichtung in der Mehrzahl der Fälle zu keinem abweichenden Ergebnis führen werde. Dies gelte insbesondere für Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit besonderes drastisch zu Tage tritt. Die Auswirkung der Neuausrichtung wird sich daher in den Fällen zeigen, in denen die Krise noch nicht so weit fortgeschritten ist oder aus anderen Gründen berechtigte Hoffnung auf Besserung besteht. Der BGH betonte wiederholt, dass die für und gegen einen Benachteiligungsvorsatz sprechenden Umstände im Einzelfall zu würdigen sind.
In Zukunft wird ein schlichter Hinweis des Insolvenzverwalters auf die erkannte Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners jedenfalls nicht mehr ausreichen, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nachzuweisen. Der BGH hat zudem die Weichen gestellt für die Erhöhung des zukünftig vom Insolvenzverwalter geforderten Beweismaßes, das durch die Instanzgerichte weiter zu konkretisieren sein wird. Jedenfalls ergibt sich für Anfechtungsgegner aufgrund der vom BGH vorgegebenen neuen Tatbestandsvoraussetzungen ein neuer Argumentations- und Verhandlungsspielraum. Den Instanzgerichten bleibt es überlassen, im Wege der Gewichtung der einzelnen Indizien im Einzelfall sachgerechte Entscheidungen zu treffen.
Im Ergebnis setzt die Rechtsprechungsänderung die schon durch den Gesetzgeber mit der Anfechtungsreform 2017 anvisierte Tendenz zur Eindämmung der Vorsatzanfechtung fort. Der BGH stärkt die Position der Gläubiger, die sich einer Vorsatzanfechtung ausgesetzt sehen. Dennoch bestehen nach wie vor Vorsatzanfechtungsrisiken, wenn man Geschäfte mit Partnern in Liquiditätsschwierigkeiten eingeht. Dieses Risiko ließe sich auch durch jede denkbare weitere Neuausrichtung der Rechtsprechung nie ganz ausschließen. Insbesondere verbleibt es auch nach der Neuausrichtung der Rechtsprechung bei der gesetzlichen Vermutungswirkung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO, wonach im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis des Anfechtungsgegner vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners zu vermuten ist. Diese Vermutung zu widerlegen, wird in der Praxis regelmäßig kaum gelingen, da mit der fehlenden Kenntnis im Ergebnis eine negative Tatsache zu beweisen ist.
Daher sollten Unternehmen weiterhin darauf achten, bereits im täglichen Geschäftsverkehr risikoverringernde Maßnahmen zu ergreifen. Diese können je nach Risikoprofil des Geschäftspartners variieren. Selbst bei einem augenscheinlich niedrigen Risikoprofil des Geschäftspartners bietet es sich an, im Rahmen der Vertragsgestaltung Vorsorge gegen Anfechtungsrisiken zu treffen, etwa durch die Vereinbarung
- einer marktüblichen Vergütung nebst schriftlicher Dokumentation in einem Aktenvermerk,
- kurzer Abrechnungsintervalle und Zahlungsfristen,
- von Reporting-Pflichten, und
- eines Zustimmungsvorbehalts für Drittleistungen.
Bei Vertragspartnern in der Krise sollten diese Vorkehrungen ergänzt werden um
- ein engmaschiges Monitoring des Zahlungsverhaltens,
- Zahlungserinnerungen bei einmaliger oder seltener Zahlungsunregelmäßigkeit;
- die Prüfung, ob zur Vermeidung einer inkongruenten Deckung bei länger andauernden Unregelmäßigkeiten weitere Schritte wie die Einleitung eines Mahnverfahrens oder die Androhung der Zwangsvollstreckung (außerhalb der Sicherheitenverwertung) eher zu unterlassen sind;
- eine genaue Prüfung des Sachverhalts vor der Gewährung von Zahlungserleichterungen;
- die Prüfung, ob die Annahme von Leistungen durch Dritte (vgl. § 267 BGB) verweigert werden sollte;
- Kündigung des Vertragsverhältnisses als ultima ratio.
Freshfields Bruckhaus Deringer - Briefing - Neues vom BGH zur Vorsatzanfechtung
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