Briefing
ESG-Reporting: Zentraler Baustein der ESG-Entwicklungen
Die EU-Kommission veröffentlichte vor Kurzem ihren Entwurf zu einer sog. Corporate Sustainability Reporting Directive, welche für das Geschäftsjahr ab dem 1. Januar 2023 – nach entsprechender Umsetzung in nationales Recht – auf Unternehmen anwendbar sein soll.
Mit diesem Client Briefing analysieren wir die geplanten Änderungen hinsichtlich des ESG-Reportings und stellen diese in den Kontext derzeitiger ESG-Entwicklungen.
1. Hintergrund und Ziel der neuen Richtlinie
Dass Unternehmen nach deutschem Recht nicht nur finanziellen, sondern seit dem Geschäftsjahr 2017 auch nicht-finanziellen Berichtspflichten unterliegen, geht auf die sog. Non-Financial Reporting Directive (NFRD) von 2014 (auch CSR-Richtlinie genannt) zurück.
Die EU-Kommission führte 2020 eine umfassende Überarbeitung dieser Richtlinie durch und stellte am 21. April dieses Jahres den Entwurf für die sog. Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vor, die voraussichtlich Mitte 2022 verabschiedet werden und erstmalig für das Geschäftsjahr beginnend ab 1. Januar 2023 anwendbar sein wird. Die Änderung des Titels der Richtlinie gründet in der Erkenntnis der Kommission, dass ESG-Informationen gerade nicht (mehr) „nicht-finanzieller“ Art sind.
Ziel der neuen Richtlinie ist die Verbesserung des Flusses von Nachhaltigkeitsinformationen in der Unternehmens- und Finanzwelt, indem die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen konsistenter und überprüfbarer gestaltet wird, so dass Finanzunternehmen und Investoren, aber auch die breitere Öffentlichkeit vergleichbare und zuverlässige Nachhaltigkeitsinformationen nutzen können.
2. Anwendungsbereich
Erfasst die NFRD nur börsennotierte Gesellschaften sowie Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen, die mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen und zusätzlich entweder eine Bilanzsumme von mind. 20 Mio € oder einen Nettoumsatzerlös von mind. 40 Mio € aufweisen, so fallen in den Anwendungsbereich der geplanten CSRD fünfmal so viele Unternehmen. Die CSRD erstreckt die Berichtspflichten nunmehr auf alle kapitalmarktorientierte Unternehmen und Finanzinstitute unabhängig von ihrer Größe (mit Ausnahme von Mikro-Unternehmen) sowie große nichtkapitalmarktorientierte Unternehmen, die mindestens zwei der drei Kriterien erfüllen: (i) Bilanzsumme von 20 Mio. Euro, (ii) Umsatzerlöse von 40 Mio. Euro und (iii) 250 Arbeitnehmer.
Dem Vernehmen nach bemüht sich Frankreich im derzeitigen Gesetzgebungsprozess um eine zusätzliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der CSRD auf Unternehmen aus Drittstaaten, die also per se nicht dem EU-Recht unterfallen.
3. Berichtspflichten
Im Einzelnen ist vor allem über die Nachhaltigkeitsstrategie, die unter Berücksichtigung der Stakeholder-Interessen entwickelt werden soll, sowie über spezifische Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) zu berichten, wie Klimaschutz, Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft, Arbeitsbedingungen und Einhaltung von Menschenrechten, Geschäftsethik und Unternehmenskultur, Vermeidung von Korruption und Bestechung, Lobbying sowie Beziehungen zu Geschäftspartnern; bei börsennotierten Unternehmen ist bei der Beschreibung ihrer Diversitätspolitik nunmehr ausdrücklich auch ein Bezug zur Gender Diversity erforderlich. Die Weite dieser Berichtspflichten unter Bezugnahme auf ESG ist offensichtlich; es fällt gar schwer überhaupt bestimmte Themen ausklammern zu können.
Eine inhaltliche Präzisierung der Berichtspflichten wird durch die Veröffentlichung separater Sustainability Reporting Standards (zunächst mit allgemeiner Reichweite, danach mit branchenspezifischer Ausrichtung) erfolgen, die durch die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) bis Mitte 2022 technisch vorbereitet wird (erste grobe EFRAG-Empfehlungen wurden in zwei Berichten im März 2021 veröffentlicht). Insofern wird eine Vereinheitlichung der Vielzahl von ESG-Reporting Standards, wie GRI und SASB, erreicht.
Das Prinzip der doppelten Materialität, wonach einerseits über die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsthemen auf den Geschäftsverlauf, die Lage und das Ergebnis des Unternehmens zu berichten ist („outside-in“-Perspektive), andererseits über die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Gesellschaft und Umwelt („inside-out“-Perspektive) besteht auch nach der CSRD fort.
Zu den Berichtsthemen gehören zudem tatsächliche oder potentielle schädliche Auswirkungen im Zusammenhang mit der Wertschöpfungskette des Unternehmens, einschließlich seiner eigenen Geschäftstätigkeit, seiner Produkte und Dienstleistungen, seiner Geschäftsbeziehungen und seiner Lieferkette sowie unternehmensinterne Maßnahmen, um tatsächliche oder potentielle nachteilige Auswirkungen zu verhindern, zu mindern oder zu beheben. Insofern besteht hier auch eine Parallele zur geplanten EU-Richtlinie zu unternehmensbezogenen Sorgfaltspflichten in Liefer- und Wertschöpfungsketten, die selbst auch bereits eine Reporting-Komponente enthält.
4. Berichtsform
Die CSRD sieht eine Abkehr von der bisherigen Möglichkeit vor, Nachhaltigkeitsinformationen über einen gesonderten Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen. Künftig sollen sowohl Finanz- als auch Nachhaltigkeitsinformationen gemeinsam im „management report“, also nach deutschem Recht im Lagebericht (vgl. § 289 HGB), veröffentlicht werden.
Eine Herausforderung stellt dies v.a. für Konzernobergesellschaften aus Drittstaaten (Nicht-EU-Mitgliedstaaten) dar, deren Nachhaltigkeitspolitik auf oberster Konzernebene getroffen wird und die daher einen konsolidierten Bericht für ihre europäischen Tochtergesellschaften erstellen wollen. Grundsätzlich bleibt eine befreiende, konsolidierte Berichterstattung auch nach der CSRD möglich, sofern die Tochtergesellschaften in den „management report“ des Mutterunternehmens einbezogen werden. Allerdings stellt gerade die Anforderung einer Berichterstattung im „management report“ eine besondere Schwierigkeit dar, wenn nach der Rechtsordnung des Drittstaates selbst keine besonderen Anforderungen an ESG-Reporting gestellt werden. Es fragt sich hier, ob bspw. US-Mutterunternehmen in dem formalisierten SEC-Standard Form 10-K berichten müssen. Unseres Erachtens ist dies – auf Grund der intendierten Annäherung zwischen Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie der ausdrücklichen Feststellung, dass „CSRD-äquivalent“ zu berichten ist – zu bejahen. Sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in der Fachliteratur ist dieser Punkt zurzeit noch völlig unterbelichtet.
5. Aktueller Pflichtenstandard
Der Regelungsansatz der CSRD setzt weiter vorrangig auf Publizität über Nachhaltigkeitsinformationen. Diese nunmehr deutlich erweiterte Berichtspflicht wirkt jedoch mehr als nur reflexhaft auf die Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitung zurück:
Die Befassung der Unternehmensleitung mit Nachhaltigkeitsfragen soll sich nach dem politischen Willen des europäischen Gesetzgebers bewusst nicht in der formalen Erfüllung der Berichtspflichten erschöpfen. Sie soll Reflexion auf höchster Leitungsebene darüber veranlassen, wie Nachhaltigkeit über die formale Berichtspflicht hinaus materiell in die strategische und wirtschaftliche Ausrichtung des Unternehmens eingewoben werden kann. Wesentliches Instrument des Enforcements für diesen politisch gewollten Transformationsprozess ist weiterhin der über die Publizitätspflicht erzeugte Druck der (Kapitalmarkt-)Öffentlichkeit und der hieraus folgende Rechtfertigungsdruck für nicht erwartungskonformes Verhalten (sog. nudging).
Eine positive Rechtspflicht, die materiell über die sowieso bestehende Pflicht zur nachhaltigen Wertschöpfung (§ 76 Abs. 1 AktG; vgl. auch § 87 Abs. 1 Satz 2 § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG) hinausgeht und die Förderung oder Verfolgung bestimmter Nachhaltigkeitsziele forderte, besteht für Unternehmen auch nach der CSRD weiterhin nicht. Die erweiterten Berichtspflichten erhöhen jedoch für die Unternehmensleitung die Begründungslast, wenn Nachhaltigkeitsaspekten bei unternehmerischen Entscheidungen geringeres Gewicht als öffentlich verlautbart beigemessen werden soll.
Die CSRD setzt insofern wie die bisherige NFRD weiter auf indirekte Steuerung unternehmerischen Handelns. Bezeichnend und möglicherweise richtungsweisend ist jedoch, dass in der Entwurfsfassung zur CSRD das bekannte „comply or explain“-Modell – also die mit den Berichtspflichten einhergehende Verpflichtung, bei Nichtvorhandensein bestimmter Policies, dies entsprechend zu erklären – für die zentralen Bereiche des Sustainability Reporting nicht mehr ausdrücklich vorgesehen ist. Es findet sich nur noch für die Diversity Policy. Es bleibt abzuwarten, ob hierin eine stärkere Materialisierung des Pflichtenstandards auch bereits durch die CSRD zu sehen ist, oder ob sich – wie die Erwägungsgründe andeuten – vergleichbare „comply or explain“ Vorgaben in noch zu entwerfenden Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung finden werden.
In anderen Bereichen ist dieser gesetzgeberische Trend direkter materieller Vorgaben für ein nachhaltiges unternehmerisches Handeln bereits deutlicher erkennbar. Offensichtlich wird dies, wenn man die aktuelle Entwicklung hinsichtlich menschenrechts- und umweltbezogener Sorgfaltspflichten betrachtet – sowohl auf deutscher Ebene mit dem kürzlich verabschiedeten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als auch auf EU-Ebene mit der geplanten Richtlinie zu unternehmensbezogenen Sorgfaltspflichten in Liefer- und Wertschöpfungsketten. Denn gerade hiermit werden nunmehr materielle Handlungspflichten statuiert, die deutlich über die seit mehreren Jahren bestehenden bloßen Berichtspflichten hinausgehen.
6. Rechtsfolgen
Die CSRD sieht als Rechtsfolge für Verstöße (zumindest) die Auferlegung von Bußgeldern sowie die Veröffentlichung des Namens der natürlichen Person oder der Firma der juristischen Person vor, die für den Verstoß verantwortlich ist (sog. naming and shaming). Ferner soll eine Unterlassungsverfügung bzgl. Non-Compliance möglich werden. Diese aufgeführten Sanktionsformen haben Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie als Mindestmaß umzusetzen.
Obwohl die NFRD von 2014 keine Sanktionen für die Nichteinhaltung der Vorgaben vorsah, hat der deutsche Gesetzgeber dennoch die Sanktionen für finanz- und nicht-finanzielle Berichterstattung im HGB aneinander angeglichen. Nach aktueller deutscher Rechtslage stellen unrichtige Darstellungen der Verhältnisse der Kapitalgesellschaft – unter Einbeziehung von nicht-finanziellen Erklärungen bzw. Berichten – im Lagebericht oder Konzernlagebericht eine Straftat der Mitglieder des Vorstands bzw. Aufsichtsrats dar. Die Tat wird gem. § 331 Nr. 1 und 2 HGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet. Ferner kann die Nichtbeachtung der Vorgaben nach §§ 289 ff. HGB als Ordnungswidrigkeit gem. § 334 Abs. 1 Nr. 3 und 4 HGB verfolgt werden.
In Anbetracht dieser strengen Sanktionsregelung durch den deutschen Gesetzgeber bei Umsetzung der NFRD ist davon auszugehen, dass auch bei Umsetzung der CSRD ähnlich verfahren wird. Insofern könnten sich die strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Risiken für „unrichtige Berichterstattungen“ verschärfen.
7. Litigation-Risiken
Die Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung bringt schließlich weitere Haftungsrisiken mit sich. Mehr Transparenz führt zwangsläufig zu einer breiteren Angriffsfläche, derer sich Unternehmen in der Öffentlichkeit ausgesetzt sehen. Die Ausweitung der Berichtspflichten gibt einen besseren Einblick in das Unternehmen und die Unternehmenskultur selbst. Insofern kann die Offenlegung auch der Beweisführung in Prozessen gegen die verpflichteten Unternehmen dienlich sein. Dies gilt insofern nicht nur in Bezug auf die in ihrer Bedeutung stark zunehmende, spezielle ESG-Litigation, sondern gerade auch in Hinblick auf traditionelle Bereiche, wie Arbeitsrecht, Umweltrecht und auch Korruptionsprävention. Die notwendigen unternehmensinternen Ressourcen, die sorgfältiges ESG-Reporting benötigt, sind mithin nicht zu unterschätzen.
8. Weitergehende Konsequenzen
Bemerkenswert ist ferner die Verknüpfung von ESG-Reporting durch Unternehmen und Sustainable Finance. Unternehmen, die unter die NFRD fallen, zählen gleichermaßen zu den Adressaten der Taxonomie- Verordnung (s. dort Art. 8). Auf Grund der Ersetzung der NFRD durch die CSRD werden daher auch alle Unternehmen im Anwendungsbereich der CSRD künftig den Regelungen der Taxonomie-Verordnung unterliegen. Insbesondere heißt das, dass Unternehmen auch Informationen darüber offenlegen müssen, wie und in welchem Ausmaß ihre Aktivitäten mit denen übereinstimmen, die in der EU-Taxonomie (inkl. der delegierten Rechtsakte) als ökologisch nachhaltig gelten.
Diese Quer-Verweisung auf das System der Taxonomie-Verordnung – als ein stark technisches Regelwerk – wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass sich auch die formale Abfassung der Nachhaltigkeitsberichterstattung von zum Teil eher vagen sprachlichen Wendungen zu einer konkreten Nachhaltigkeitssprache entwickeln wird.
9. Zusammenfassung
Zuweilen wird die neue CSRD als eine bloße Novelle der NFRD charakterisiert. Das unterschätzt ihre (ganzheitliche) Bedeutung für Unternehmen. Denn es geht letztlich um eine mittelbare Readjustierung der Unternehmensleitung hin zu einer „Sustainability Transformation“, die alle Bereiche der Geschäftsführung umfasst: Produktangebot, Geschäftspartner-Beziehungen, Investitionskriterien, Konzern-, Führungs-, Risikomanagement- und Informationsstrukturen, Finanzierung und Führungskräftevergütung. ESG-Reporting ist – wie Sustainable Finance – ein bedeutsamer Treiber der Sustainability Transformation.
Insgesamt ist es erklärtes Ziel der EU, dass die neue CSRD und der vereinheitlichte Reporting Standard Auswirkungen auf Sustainability-Berichtsregime in anderen Teilen der Welt haben wird, um die globale Verbreitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung und ihre Vereinheitlichung (nach EU-Standards) zu fördern.
Unternehmen sind gut beraten, die Verschärfung der rechtlichen Berichtsanforderungen durch die CSRD nicht als „weiches Trendthema“ oder bloße weitere bürokratische Checklisten-Anforderung zu unterschätzen. Wer frühzeitig erkennt, wie weitreichend die CSRD eine Sustainability Transformation für die gesamte Wertschöpfungskette und für die Unternehmenskultur ganzheitlich fordert, ist in der Lage, sich als First Mover eines nachhaltigen Geschäftsmodells global am Markt zu positionieren.
Briefing ESG-Reporting Zentraler Baustein der ESG-Entwicklungen (Juli 2021) - Freshfields Bruckhaus Deringer
(PDF - 157.9 KB)