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Briefing

Bundesweite Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen: Arbeits- und strafrechtliche Folgen für Arbeitgeber

Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 22. März eine Erweiterung der Leitlinien zur Beschränkung sozialer Kontakte (sog. Kontaktbeschränkungen) beschlossen hat, die mittlerweile bis zum 19. April verlängert wurden, haben alle Bundesländer Rechtsverordnungen auf Grundlage des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) erlassen (siehe Annex). Diese enthalten insbesondere Regelungen zu Abstandsgeboten (1,5 Meter bis 2 Meter) und Ansammlungsverboten, die auch für Arbeitgeber relevant sein können. Die Vorgaben sind allerdings je nach Bundesland sehr unterschiedlich. Da Verstöße neben arbeitsrechtlichen Konsequenzen auch buß- und strafrechtliche Folgen für Unternehmen haben können, sollten Arbeitgeber prüfen, ob sie die jeweils örtlich geltenden Kontaktbeschränkungen erfüllen.

Umfang der Beschränkungen je nach Bundesland unterschiedlich

Da konkrete Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung nach dem IfSG nicht auf Bundesebene, sondern auf Länderebene erlassen werden, existieren in jedem Bundesland eigene Regelungen. Hierdurch kann zwar auf regionale Risiken besser eingegangen werden. Es führt aber dazu, dass Arbeitgeber in Bayern andere Vorgaben einhalten müssen als in Hamburg.

Zum Beispiel müssen ein Callcenter oder ein Produktionsbetrieb in Bayern soweit möglich einen Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 Metern gewährleisten, da das bayerische Abstandsgebot „wo immer möglich“ einzuhalten ist. In Hamburg ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern hingegen grundsätzlich nur an öffentlichen Orten einzuhalten. Ein Callcenter oder ein Produktionsbetrieb in Hamburg dürften daher als private Betriebe nicht vom Abstandsgebot erfasst sein. Zwar verzichten viele Unternehmen in der aktuellen Situation auf eine betriebliche Anwesenheit ihrer Mitarbeiter und weichen auf das Homeoffice aus, doch ist dies nicht in allen Unternehmen möglich. Produktionsbetriebe lassen sich nur schwerlich von zu Hause fortführen. Aufgrund der nachfolgend darzustellenden arbeitsrechtlichen und infektionsschutzrechtlichen Konsequenzen für Unternehmen ist eine Einzelfallprüfung je nach Standort des Betriebes notwendig.

Arbeitsrechtliche Risiken bei Verstößen gegen die Kontaktbeschränkungen

Arbeitgeber sollten genau prüfen, ob und welchen Kontaktbeschränkungen ihr Betrieb unterliegt. Dies gilt nicht nur wegen der ordnungsrechtlichen Pflichten gegenüber dem Staat, sondern auch im Verhältnis zu den eigenen Arbeitnehmern. Der Grund hierfür ist, dass den Arbeitgeber als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag eine Fürsorgepflicht für seine Arbeitnehmer trifft (vgl. § 618 BGB). Diese wird nicht nur durch bestehende Vorschriften zum Arbeitsschutz (insbesondere das Arbeitsschutzgesetz sowie die ArbStättV) konkretisiert, sondern dürfte auch die in jedem Bundesland geltenden Regelungen zur Kontaktbeschränkung beinhalten.

Verstößt der Arbeitgeber gegen seine Fürsorgepflicht, können Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht nur auffordern, die Kontaktbeschränkungen im Betrieb zu gewährleisten, sondern im Extremfall sogar ihre Arbeitsleistung zurückbehalten, ohne dass sie ihren Vergütungsanspruch verlieren. Zwar besteht das Leistungsverweigerungsrecht im Grundsatz nur dann, wenn ein Arbeitgeber sein Ermessen bezüglich angemessener Schutzmaßnahmen rechtswidrig ausübt, d.h. gar keine oder unzulängliche Maßnahmen trifft. Dies gilt jedoch nicht, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften wie die Kontaktbeschränkungen bestimmte Maßnahmen vorschreiben. Ist der Arbeitgeber zur Umsetzung konkreter Abstandsgebote verpflichtet, besteht das Risiko, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung rechtmäßig zurückbehalten können und der Arbeitgeber in Annahmeverzug gerät und das Gehalt weiterzahlen muss.

Kommt es wegen einer Verletzung der Fürsorgepflicht zu einer Verletzung der Gesundheit oder des Lebens des Arbeitnehmers, haftet der Arbeitgeber gemäß § 280 Abs. 1 BGB grundsätzlich für den Ersatz des Personenschadens, sofern sein Verhalten schuldhaft (d.h. vorsätzlich oder fahrlässig) gewesen ist (§ 276 BGB). Im Falle einer Infektion mit SARS-CoV-2 haftet also womöglich der Arbeitgeber, wobei dem Arbeitnehmer sogar Beweiserleichterungen zugutekommen. Der Arbeitnehmer hat neben dem Schaden nur einen objektiv ordnungswidrigen Zustand darzulegen und zu beweisen. Der Zustand muss geeignet gewesen sein, den eingetretenen Schaden herbeizuführen. Gelingt dem Arbeitnehmer dies, ist es am Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft oder dass der beanstandete ordnungswidrige Zustand nicht ursächlich für die Verletzung gewesen ist.

Grundsätzlich wird zwar die Haftung des Arbeitgebers für Personenschäden, die der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz erleidet, durch die Regelungen der gesetzlichen Unfallversicherung weitgehend ausgeschlossen (§ 104 SGB 7). Der Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallkassen „Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung“ (DGUV) vertritt jedoch die Ansicht, dass die Unfallversicherer für Folgen einer Infektion mit SARS-CoV-2 nicht eintreten müssen, da die Erkrankung mittlerweile als Pandemie und damit als eine Allgemeingefahr eingestuft werde. Sollte diese Ansicht vor Gericht Bestand haben, wäre die Haftungsbeschränkung nach § 104 SGB 7 nicht anzuwenden, und der Arbeitgeber könnte auch bei fahrlässig verursachten Infektionen von seinen Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden.

Werden Betriebe in einem Bundesland nicht von den Vorgaben erfasst, bedeutet dies allerdings keinen Freibrief für die jeweiligen Unternehmen. Auch über die allgemeine Fürsorgepflicht und die arbeitsschutzrechtliche Generalklausel sind Unternehmen verpflichtet, die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen.

Straf- und bußgeldrechtliche Risiken für Unternehmen

Verstöße gegen Kontaktbeschränkungen können sanktioniert werden. Zuwiderhandlungen gegen die landesrechtlichen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind nämlich in vielen Fällen nach dem Infektionsschutzgesetz Ordnungswidrigkeiten (§ 73 IfSG) oder Straftaten (§§ 74,75 IfSG).

Ordnungswidrig i.S.d. § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1 IfSG zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für den verwirklichten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist. Die von den Bundesländern erlassenen Rechtsverordnungen zu Kontaktbeschränkungen sind solche nach § 32 Satz 1 IfSG und enthalten größtenteils den erforderlichen Verweis auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG. Die Verstöße gegen Kontaktbeschränkungen werden von einigen Bundesländern in Bußgeldkatalogen mit gesondert festgelegten Bußgeldern belegt. Darüber hinaus kommt bei Verstößen gegen vollziehbare (Einzel-)Anordnungen eine Ordnungswidrigkeit nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG in Betracht. Als Rechtsfolge einer Ordnungswidrigkeit droht eine Geldbuße i.H.v. bis zu 25.000 € (§ 73 Abs. 2 IfSG). Wird durch eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die genannten Tatbestände SARS-CoV-2 übertragen, liegt zudem eine Straftat gem. § 74 IfSG vor.

Daneben können Verstöße gegen vollziehbare (Einzel-)Anordnungen von Behörde oder Landesregierung allerdings auch unmittelbar den Straftatbestand des § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG verwirklichen. Zu diesen Anordnungen zählen sämtliche Schutzmaßnahmen gem. § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG. Bei vorsätzlicher Verwirklichung droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Es genügt Eventualvorsatz. Dies bedeutet, dass es ausreicht, dass der Täter einen Verstoß gegen die Schutzmaßnahme zumindest billigend in Kauf genommen hat. Wird durch eine Zuwiderhandlung der SARS-CoV-2-Virus verbreitet und nimmt der Täter dies billigend in Kauf, droht gem. § 75 Abs. 3 IfSG eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu 5 Jahren, soweit nicht die Tat in anderen Vorschriften mit einer schwereren Strafe bedroht ist, was allerdings regelmäßig der Fall ist (zur gefährlichen Körperverletzung sogleich).

Darüber hinaus droht eine Strafbarkeit nach allgemeinem Strafrecht:

Während die Übertragung von Grippe- und Erkältungsviren regelmäßig als sozial üblich angesehen wird und deshalb nicht die Grenzen des strafrechtlich erlaubten Risikos überschreitet, kann die Verbreitung eines gefährlichen – dem Infektionsschutzgesetz unterliegenden – Erregers wie des SARS-CoV-2-Virus zur Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB), schlimmstenfalls fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) führen. Die Fahrlässigkeitstaten setzten stets einen objektiven Sorgfaltspflichtverstoß voraus. Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt bestimmen sich nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung einer Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Akteur in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind, was zu einer erheblichen Unschärfe der Strafnorm führt. Aus der Praxis lässt sich in etwa sagen:  Ein Verstoß gegen geschriebene Verhaltensnormen, die dem Schutz der Gesundheit von Menschen dienen – mithin sämtliche hier genannten Gesetze, Verordnungen und Allgemeinverfügungen im Zusammenhang mit der Eindämmung der COVID 19-Pandemie – indiziert eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung.

Liegt kein Verstoß gegen abstrakt-generelle Regeln vor, ist eine Strafbarkeit wegen einer Fahrlässigkeitstat allerdings nicht ausgeschlossen. Stattdessen fragen Staatsanwaltschaften in solchen Fällen, wie ein besonnener und gewissenhafter Akteur in der Situation gehandelt hätte. Dieser besonders unbestimmte Maßstab kommt insbesondere in Situationen wie der aktuellen zum Tragen, in denen abschließende Regelwerke zu dem Umgang mit einer (neuen) Gefahr fehlen.

Kommt es im Betrieb zu Verstößen gegen straf- oder bußgeldbewehrte Vorschriften, können Unternehmen nach dem allgemeinen Sanktionsregime in §§ 30, 130 OWiG empfindlich sanktioniert werden (theoretisch bis maximal 10 Mio. EUR Geldbuße). Voraussetzung ist, dass eine Leitungsperson eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht oder wegen unterlassener Aufsicht Zuwiderhandlungen nachgeordneter Mitarbeiter nicht verhindert. Ferner muss es durch den Verstoß zu einer Bereicherung des Unternehmens gekommen oder eine unternehmensbezogene Pflicht verletzt worden sein. Eine Bereicherung des Unternehmens wird in der Praxis regelmäßig schon dann angenommen, wenn das Unternehmen dadurch, dass es eine Vorschrift nicht einhält, Aufwendungen (z. B. für eine Zugangskontrolle im Supermarkt) erspart. Der in Hamburg erlassene Bußgeldkatalog weist auf die Möglichkeit der Unternehmensgeldbuße neben der Geldbuße gegen die verantwortlich Handelnden ausdrücklich hin. Die Geldbuße soll in diesen Fällen den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen (§ 30 Absatz 3 in Verbindung mit § 17 Absatz 4 OWiG). Strafrechtlich zulässig ist bei Unternehmen auch die Abschöpfung von Umsätzen, die durch Verstöße erzielt wurden, was z. B. bei Gaststätten, die verbotswidrig öffnen, bereits in der Praxis umgesetzt wird. 

Fazit und Ausblick

Unternehmen sollten die eingeführten Kontaktbeschränkungen genau prüfen und umsetzen. Ansonsten riskieren sie die genannten arbeits- und strafrechtlichen Konsequenzen, die nicht nur finanzielle Folgen haben können. Da die Bundesländer ihre Verordnungen auch nachträglich anpassen, ist eine fortlaufende Prüfung notwendig.

Zudem empfiehlt sich, zur Entlastung von Vorstand und Geschäftsführung im Rahmen eines Compliance-Systems eine ausdrückliche Pflichtendelegation in Bezug auf die Überwachung und Umsetzung der staatlichen Schutzvorgaben vorzunehmen. Die allgemein üblichen Pflichtendelegationen im Bereich der Arbeitssicherheit umfassen die spezifisch im Corona-Kontext bestehenden Pflichten mitunter nicht, weshalb insoweit eine Anpassung notwendig sein kann.

Annex (Stand: 3. April 2020)