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Briefing

Regierungs­entwurf zur Ein­führung einer kollektiven Abhilfe­klage ver­abschiedet

Die Bundes­regierung hat sich in der vergangenen Woche auf einen Entwurf zur Einführung der kollektiven Abhilfe­klage geeinigt. Damit folgt das Kabinett der Verpflichtung, die europäische Verbands­klagericht­linie (EU 2020/1828) in nationales Recht umzusetzen.

Die Zeit drängt: Die Umsetzungs­frist ist bereits im Dezember verstrichen, weswegen die EU-Kommission im Januar an die Bundesrepublik und an 24 weitere Mitglied­staaten ein Aufforderungs­schreiben gerichtet hat. Ab dem 25. Juni muss die Verbandsklage verfügbar sein.

Rück­blick: Referenten­entwurf des Bundes­ministeriums der Justiz

Bereits im September letzten Jahres hatte das Bundes­ministerium der Justiz einen Entwurf vorgelegt. In Umsetzung der Richtlinie ist vorgesehen, dass klageberechtigte Stellen (sog. qualifizierte Einrichtungen) im Namen von Verbrauchern kollektive Abhilfe­­klagen gegen Unternehmen erheben können, die sich auf konkrete Leistungen wie Zahlungen richten.

Die Beteiligung der Verbraucher erfolgt durch die Eintragung in ein Register ("Opt-in"). Abweichend von der Richtlinie können sich auch kleine Unternehmen an einer Klage beteiligen.1 In einem grund­sätzlich dreistufigen Verfahren entscheidet das Gericht zunächst in einem Abhilfe­grund­urteil, ob die Ansprüche dem Grunde nach bestehen. Nach einer sich anschließenden Vergleichs­phase ergeht ein Abhilfe­end­urteil, mit dem in erster Linie das sogenannte Umsetzungs­verfahren angeordnet wird. Für Klagen auf Zahlung wird vor dem Endurteil bestimmt, wie die an die Verbraucher zu zahlende Summe zu ermitteln ist. Den so geschätzten Gesamtbetrag muss das beklagte Unternehmen in einen Umsetzungs­fonds einzahlen. Die Verteilung erfolgt durch einen Sachwalter.

Der Regierungs­entwurf

Der nun verabschiedete Kabinetts­entwurf enthält einige Neuerungen, die ein gewisses Entgegen­kommen bezüglich der Wünsche des Bundes­ministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucher­schutz nach mehr Verbraucher­freundlichkeit erkennen lassen, jedoch in ihrer Reichweite überschaubar sind. Zudem wurde das Verfahren gestrafft, sprachliche Unklarheiten wurden geglättet.

Die drei nennens­wertesten Änderungen sind die Folgenden:

  1. Eine Lockerung der Anforderungen, die an qualifizierte Einrichtungen gestellt werden.
  2. Eine Verlängerung des Zeitraums, innerhalb dessen Verbraucher der Klage beitreten können. Dieser wurde nun auf zwei Monate nach der ersten mündlichen Verhandlung erweitert.
  3. Eine Möglichkeit zum Erlass eines endgültigen Urteils anstelle eines Grundurteils. Dies ist nun bei Zahlungs­forderungen für namentlich benannte Verbraucher möglich. Damit soll offensichtlich das Verfahren abgekürzt werden.

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Aus­wirkungen der neuen Ent­wicklungen dürften auf den zweiten Blick gering sein

Viel diskutiert werden die Anforderungen, die an qualifizierte Einrichtungen gestellt werden. Der Regierungs­entwurf hat diese Kriterien nun gelockert. Die Lockerungen bleiben jedoch überschaubar. Am erheblichsten ist, dass ein Verbraucher­verband für die Qualifizierung nach dem Regierungs­entwurf nicht mehr vier Jahre lang in die Liste nach § 4 Unterlassungs­klagengesetz eingetragen sein muss, sondern nur noch ein einziges Jahr. Daneben sind im Referenten­entwurf unter anderem noch enthaltene zusätzliche Anforderungen an die Anzahl der Mitglieder von qualifizierten Einrichtungen entfallen (zehn Verbände oder 350 natürliche Personen). Es gelten nun auch hier die Anforderungen des § 4 Unterlassungs­klagen­gesetz (drei Verbände oder 75 natürliche Personen). Insgesamt mag dies die Wahrscheinlichkeit etwas reduzieren, dass Verbraucher­schützer auf grenzüberschreitende Konstrukte zurückgreifen, um hierzulande national-rechtliche Vorgaben zu unterlaufen.

Erweiterung des Beitritts­zeit­raums um zwei Monate

Mehrfach wurde in der Presse über Unstimmigkeiten zwischen den Ressorts hinsichtlich des Zeitpunkts berichtet, bis zu dem sich Verbraucher einer Abhilfeklage anschließen können. Der erste Entwurf sah eine Registrierung bis spätestens einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vor, was zum Nachteil der Verbraucher als zu kurz empfunden wurde. Im Kabinetts­entwurf wurde die Beitrittsphase um zwei Monate verlängert. Konsequenter­weise kann nun auch erst nach Ablauf der zwei Monate, also wenn feststeht, wie viele Verbraucher sich registriert haben, ein Vergleich geschlossen oder ein Urteil gefällt werden.

Ein Beitritt nach dem (Grund-) Urteil ist hingegen weiterhin nicht möglich, wodurch verhindert wird, dass Verbraucher den Ausgang der Entscheidung abwarten können.

Keine Änderungen der Vorschriften zur Verjährungs­hemmung

Die Rechtssicherheit für beklagte Unternehmen wurde entgegen manchen Forderungen nicht durch eine Erweiterung der Verjährungs­hemmung reduziert. Es bleibt dabei, dass nur die Verjährung von Ansprüchen der registrierten Verbraucher gehemmt wird. Unternehmen droht damit nicht die Gefahr, dass mit der Abhilfeklage die Verjährung aller Ansprüche von Verbrauchern auch ohne Teilnahme gehemmt wird. Dies schließt das Risiko aus, dass nach Abschluss der Abhilfe­klage bzw. dem Erlass eines Grund- oder Endurteils in Bezug auf regulär verjährte Ansprüche weitere Klagen erhoben werden.

Straffung des Verfahrens

An verschiedenen Stellen wurde das Verfahren gestrafft.

Gegen Beschlüsse des Oberlandesgerichts im Rahmen der Verfahrens­führung ist in mehreren Zusammen­hängen eine Rechtsbeschwerde nunmehr nur nach Zulassung durch das Gericht möglich. Wird keine Rechts­beschwerde zugelassen, steht kein weiterer ordentlicher Rechtsbehelf mehr zur Verfügung. Bemerkenswert ist dies – wegen der denkbaren hohen finanziellen Belastung – bei Beschlüssen, mit denen das Gericht die Nichtvorlage von Beweismitteln durch Festsetzung eines Ordnungs­geldes sanktioniert. Nach Vorgaben der Richtlinie sah bereits der Referenten­entwurf vor, dass das Gericht die Vorlage von Beweis­mitteln anordnen und bei Nicht­befolgung hohe Ordnungs­gelder verhängen kann. Die Möglichkeiten, sich gegen eine solche Anordnung zu wehren, wurden nun begrenzt. Gleiches gilt, wenn das Gericht durch Beschluss einen gerichtlichen Vergleich abgelehnt hat, weil es ihn nicht für eine angemessene gütliche Beilegung des Rechts­streits erachtet.

Mit diesen Abkürzungen wird das Verfahren zwar insgesamt beschleunigt, doch die Rechte der Parteien werden eingeschränkt. Die Rechte der Parteien werden wiederum durch eine Formulierung im Regierungs­entwurf erweitert, wonach die Revision gegen alle Urteile, Abhilfe­grund­urteile oder Abhilfe­end­urteile stets stattfindet, ohne dass dies einer Zulassung bedarf.

Grundsätzlich sachgerecht erscheint es, dass nun bereits in der ersten Verfahrens­phase abschließende Urteile gefällt werden können. Der Entwurf sieht vor, dass in den Fällen, in denen eine Zahlung an namentlich benannte Verbraucher eingeklagt wird, statt eines bloßen Grundurteils direkt ein endgültiges Urteil ergehen kann. Die damit beabsichtigte Beschleunigung des Verfahrens dürfte regelmäßig erreicht werden.

Interessant sind im Regierungs­entwurf auch einige Klarstellungen, wie mit inhaltlich verwandten Verbands­klagen umzugehen ist. Wie bei der Muster­feststellungs­klage kann zwar stets nur eine einzige Verbands­klage erhoben werden, welcher der gleiche Lebens­sachverhalt zugrunde liegt und die auf dieselben Klageziele gerichtet ist. Mehrere am selben Tag eingereichte Verbands­klagen sollen hingegen noch verbunden werden können.

Ausblick

Der Regierungs­entwurf zeigt an mehreren Stellen, welche Erwartungen das Kabinett an eine Rezeption des neuen Instrumentes hat.

Ein vom Bundes­kabinett erkannter Spezialfall manifestiert sich an einer Modifikation des Gesetzes gegen Wettbewerbs­beschränkungen (GWB), wonach der Kartellsenat des BGH für die Revision im Falle von Verbands­klagen mit Bezug auf kartellrechtliche Ansprüche zuständig ist. Dies zeigt, dass auch kartellrechtlich geprägte Verbands­klagen erwartet werden. Hierbei handelt es sich um ein Rechtsgebiet, bei dem die kollektive Geltend­machung von Ansprüchen seit jeher mit ökonomischen Begründungs­ansätzen gefordert wird.

Eine allgemeinere Einschätzung erlauben die Berechnungen der Bundes­regierung, welchen Erfüllungs­aufwand die Gesetzgebung mit sich bringen wird. Insgesamt wird damit gerechnet, dass weniger Individual­klagen erhoben werden. Allerdings geht die Regierung davon aus, dass zukünftig lediglich durchschnittlich 15 Abhilfeklagen und zehn Muster­feststellungs­klagen pro Jahr erhoben werden.

Insgesamt bleibt nun abzuwarten, wie sich der Fortgang des parlamentarischen Verfahrens gestaltet. Mit einer ersten Anhörung wird noch im April gerechnet. Es wird sich zeigen, ob es mit Blick auf die zahlreichen aktuellen Themen auf den Agenden von Bundestag und Bundesrat zu einer intensiven Diskussion in den beiden Institutionen kommt.

 



1 Zur Vertiefung und Einordnung verweisen wir auf unsere bisherigen Briefings zum ersten Referentenentwurf: https://www.freshfields.de/our-thinking/knowledge/briefing/2022/09/entwurf-zur-neuen-sammelklage-in-deutschland/;

Zur ausführlichen Analyse: https://www.freshfields.com/en-gb/our-thinking/knowledge/briefing/2022/12/analyse-des-referentenentwurfs-zur-umsetzung-der-verbandsklagerichtlinie-praktische-herausforderungen-bei-der-integration-in-die-zpo-und-damit-zusammenhaengende-risiken-fuer-unternehmen/