Briefing
Verordnung nach § 26 des Energiesicherungsgesetzes über einen finanziellen Ausgleich durch eine saldierte Preisanpassung
I. Hintergrund
Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat die angespannte Lage auf den Energiemärkten verschärft. In seiner Folge kam es bereits in den letzten Monaten zu einer Reduzierung der Gasimportmengen von russischen Lieferanten nach Deutschland. Die Bundesregierung hält es für wahrscheinlich, dass weitere Reduzierungen der Liefermengen unmittelbar bevorstehen. Damit einher geht ein enormer Anstieg des Gaspreises.
Gasimporteure, die im Falle eines Lieferstopps gegenüber ihren Kunden lieferpflichtig bleiben und ihre Ersatzbeschaffungskosten mangels vertraglicher Abreden nicht an ihre Kunden weiterreichen können, stehen daher vor Herausforderungen. Um solche Importeure vor Insolvenzrisiken zu schützen und so die Funktionsfähigkeit des Energiemarkts zu erhalten, hat der Gesetzgeber das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) in den vergangenen Monaten gleich zwei Mal novelliert. Mit dem am 22. Mai 2022 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975 und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften hat der Gesetzgeber in Gestalt des § 24 EnSiG ein gesetzliches Preisanpassungsrecht etabliert. Demnach können Gasimporteure unabhängig von ihren vertraglichen Abreden Ersatzbeschaffungskosten an ihre Kunden abwälzen, sofern die Bundesregierung die Alarm- oder Notfallstufe ausruft und die Bundesnetzagentur eine erhebliche Reduzierung der Gasimportmengen nach Deutschland feststellt. In der Energiewirtschaft ist diese Regelung auf erhebliche Kritik gestoßen. Mit Wirkung zum 8. Juli 2022 hat der Gesetzgeber das EnSiG daher erneut novelliert. Gem. § 26 EnSiG nF kann die Bundesregierung nunmehr per Rechtsverordnung regeln, dass das gesetzliche Preisanpassungsrecht nach § 24 durch einen finanziellen Ausgleich zugunsten von betroffenen Gasimporteuren ersetzt wird, der wiederum durch eine saldierte Preisanpassung, d.h. durch eine Umlage auf Gasverbräuche, finanziert wird. Die Verordnungskompetenz der Bundesregierung besteht schon dann, wenn eine erhebliche Reduzierung importierter Gasmengen unmittelbar bevorsteht.
Eine solche Situation hat die Bundesregierung nun festgestellt und daher auf Grundlage des § 26 EnSiG eine Gaspreisanpassungsverordnung (GasPrAnpV) beschlossen, die am Montag, den 8. August 2022, verkündet wurde und am 9. August 2022 in Kraft treten wird.
II. Regelungen der Gaspreisanpassungsverordnung
Die GasPrAnpV etabliert einen Ausgleichsmechanismus, dem zwei gesetzliche Schuldverhältnisse zugrunde liegen. Zum einen das auf den finanziellen Ausgleich gerichtete Schuldverhältnis zwischen betroffenen Importeuren und dem Marktgebietsverantwortlichen, zum anderen das auf die Zahlung der Gasbeschaffungsumlage gerichtete Schuldverhältnis zwischen dem Marktgebietsverantwortlichen und den betroffenen Bilanzkreisverantwortlichen.
Zum finanziellen Ausgleich
§ 2 Abs. 1 GasPrAnpV begründet einen Ausgleichsanspruch, der auf einen finanziellen Ausgleich der Mehrkosten der Ersatzbeschaffung von Gas gerichtet ist.
Anspruchsberechtigt sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GasPrAnpV iVm des § 26 Abs. 5 EnSiG von der erheblichen Reduzierung der Gasimportmengen nach Deutschland unmittelbar betroffene Energieversorgungsunternehmen (Gasimporteure). Diese müssen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GasPrAnpV zudem seit dem 1. Mai 2022 und zum Zeitpunkt der Geltendmachung des jeweiligen Ausgleichsanspruches ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums, im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland oder in der Schweizerischen Eidgenossenschaft haben. Ausgenommen hiervon sind solche Gasimporteure, die gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 GasPrAnpV selbst zugleich andere Gasimporteure beliefern und durch ihre eigene Nichtlieferung fest kontrahierter Gasmengen an andere Gasimporteure zur Reduzierung der Gasimportmengen beitragen. Dies soll sicherstellen, dass diejenigen Akteure, die eine (Mit-)Ursache für die Erforderlichkeit der Gasbeschaffungsumlage setzen, nicht von dieser profitieren.
Anspruchsverpflichtet ist nach § 2 Abs. 3 GasPrAnpV die Trading Hub Europe GmbH (THE) als Marktgebietsverantwortliche.
Gegenstand des Anspruchs ist ein finanzieller Ausgleich der Mehrkosten der Ersatzbeschaffung, die ein Gasimporteur tätigen muss, um eine gegenüber seinen Kunden fortbestehende Lieferpflichten zu erfüllen oder um einer Schadensminderungsobliegenheit nachzukommen. Der Ausgleichsanspruch gilt nicht für alle Ersatzbeschaffungskosten, sondern unterliegt einer doppelten zeitlichen Beschränkung: Zum einen erfasst er nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GasPrAnpV nur die Erfüllung von vertraglichen Lieferverpflichtungen für die physische Lieferung von Gas im deutschen Marktgebiet, die vor dem 01. Mai 2022 vertraglich fest kontrahiert worden ist. Zum anderen schreibt § 1 Abs. 2 GasPrAnpV eine Saldierungsperiode im Zeitraum vom 01. Oktober 2022 Uhr bis zum 01. April 2024 vor. Die zeitliche Beschränkung stützt sich auf die Einschätzung der Bundesregierung, dass sich der Markt bis zum 01. April 2024 neu konsolidiert und die Notwendigkeit der Kostenumlage entfällt. Ferner wird der Ausgleichsanspruch den Gasimporteuren nicht vollumfänglich gewährt, sondern es wird ein Pauschalbetrag von 10 Prozent als Selbstbehalt des Gasimporteurs abgezogen. Mittels dieser Risikobeteiligung soll ausweislich der Verordnungsbegründung ein zusätzlicher Anreiz zur kostengünstigen Ersatzbeschaffung geschaffen werden.
Zu beachten sind die restriktiven materiellen Ausschlussfristen der GasPrAnpV: Ausgleichsansprüche können nur dann geltend gemacht werden, wenn der betroffene Gasimporteur der THE gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 1 GasPrAnpV innerhalb von vier Werktagen nach der Verkündung der Rechtsverordnung das Bestehen seiner Ansprüche angezeigt hat und gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 2 GasPrAnpV bis zum fünften Werktag eines Monats, erstmals innerhalb von vier Werktagen nach Verkündung der Rechtsverordnung, eine Prognose über die voraussichtliche Höhe seiner Ausgleichsansprüche für den verbleibenden Teil der Saldierungsperiode einschließlich der diesen zugrunde liegenden Werte auf einem von der Bundesnetzagentur veröffentlichten sog. Prognoseerhebungsbogen mitteilt.
Zur Gasbeschaffungsumlage
Die Kosten, die infolge der Ausgleichszahlungen entstehen, werden der THE gem. § 3 GasPrAnpV in Gestalt einer Gasbeschaffungsumlage erstattet. Die Gasbeschaffungsumlage wird auf physisch ausgespeisten Gasmengen für Entnahmestellen mit registrierender Leistungsmessung (RLM) und für Entnahmestellen mit Standardlastprofilen (SLP), d.h. auf physische Ausspeisungen von Letztverbrauchern, erhoben. Gläubigerin der Umlage ist die THE; Schuldner sind diejenigen Bilanzkreisverantwortlichen, deren Bilanzkreisen entsprechende physische Ausspeisungen zugeordnet sind. Der durch die Verteilung entstehende Bedarf zur Zwischenfinanzierung wird durch Garantien und Kredite der KfW sichergestellt. Die Bundesregierung rechnet ausweislich der Verordnungsbegründung in Abhängigkeit vom Umfang der Ersatzbeschaffungsmengen der Gasimporteure und den Marktpreisen derzeit mit einem Liquiditätsbedarf von bis zu 18 Milliarden Euro.
Die THE unterliegt einem Wirtschaftlichkeitsgebot, d.h. sie kann bei der Berechnung der Umlage gem. § 5 Abs. 2 GasPrAnpV nur die notwendigen Kosten berücksichtigen, die ihr aus der Abwicklung des Ausgleichsmechanismus entstehen. Neben den Zahlungen des finanziellen Ausgleichs sind dies etwa notwendige Kosten für die Abrechnung sowie notwendige Personalkosten.
Die Bilanzkreisverantwortlichen sind verpflichtet, die Umlage aufgrund monatlicher Rechnungen zu bezahlen; die Zahlungen sind zehn Werktage nach Rechnungsstellung fällig. Bei Zahlungsrückständen, die trotz Mahnung und Androhung der Kündigung des Bilanzkreisvertrags fortbestehen, ist der Marktgebietsverantwortliche unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 zur Kündigung des Bilanzkreisvertrags berechtigt. Bilanzkreisverantwortlichen ist daher zu empfehlen, die Umlage auch bei bestehenden Rechtmäßigkeitszweifeln (unter Vorbehalt) zu zahlen.
Zur Kostenabwälzung auf Letztverbraucher
Dem Bilanzkreisverantwortlichen wird durch die GasPrAnpV anders als im Rahmen des § 24 Abs. 1 S. 3 EnSiG kein gesetzliches Recht gewährt, die aus der Gasbeschaffungsumlage resultierenden Zusatzkosten entlang der Lieferkette an Letztverbraucher weiterzureichen. Ob und inwiefern ein Bilanzkreisverantwortlicher seine Kosten weiterreichen kann, hängt maßgeblich davon ab, ob der Bilanzkreisverantwortliche mit seinen Abnehmern wirksame vertragliche Preisanpassungsmechanismen vereinbart hat oder allgemeine Institute, wie etwa die Störung der Geschäftsgrundlage, eingreifen.
Auch über die Höhe dieser Kostenbeteiligung der Letztverbraucher kann derzeit nur gemutmaßt werden. Diese ist abhängig von dem Umfang und den Preisen der Ersatzbeschaffungen, das BMWK schätzt die Umlagekosten in der Begründung des Verordnungsentwurfes auf 1,5 bis 5 Cent/kWh.
Die etwaige Weitergabe der Umlage an die Letztverbraucher wird nach der aktuellen gesetzlichen Ausgestaltung zusätzlich mit einer Umsatzsteuer in Höhe von 19% belastet. Dies liegt an der oben dargestellten Konzeption der Gasbeschaffungsumlage: Es handelt sich hierbei – wie auch bei der EEG-Umlage – nicht nur um einen nicht umsatzsteuerbaren sog. „durchlaufenden Posten“, bei welchem das Unternehmen Beträge im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt. Vielmehr führen die Energieversorgungsunternehmen eine freiverantwortliche Preiskalkulation durch. Die Weiterbelastung von Kosten im Rahmen dieser Preiskalkulation führt zu einer Erhöhung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und ist deshalb umsatzsteuerrelevant. In der aktuellen politischen Diskussion wird eine Entlastung der Letztverbraucher von dieser zusätzlichen Umsatzeuer in Erwägung gezogen. Eine Änderung der gesetzlichen Regelungen ist aufgrund europarechtlicher Vorgaben (Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts) jedoch nur unter relativ engen Rahmenbedingungen möglich.
III. Fazit und Ausblick
Auch in Folge des Erlasses der GasPrAnpV verbleiben klärungsbedürftige Fragen. Das betrifft zum einen verordnungsunabhängig die Entwicklung des tatsächlichen Geschehens: Derzeit ist ungewiss, ob und in welchem Umfang es zu weiteren Reduzierungen der Gasimportmengen von russischen Lieferanten nach Deutschland kommen wird. Diese Ungewissheit stellt einerseits die betroffenen Unternehmen vor Herausforderungen, andererseits sind die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen noch nicht absehbar. Mit weiteren Maßnahmen ist bei einer verstärkten Betroffenheit, bspw. aufgrund einer rasanten Preisentwicklung oder akuten Gasknappheit, zu rechnen.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und die Bundesnetzagentur haben in diesem Zusammenhang bereits verlauten lassen, ein Gasauktionsmodell als neues zusätzliches Regelenergieprodukt einzuführen: Bilanzkreisverantwortliche sollen über die Regelenergie-Plattform der THE Angebote zur Bereitstellung von Gasmengen einstellen können, die bei Engpässen abgerufen werden können. Die günstigsten Angebote erhalten – einer Auktion gleich – den Zuschlag. Auf diese Weise sollen industrielle Verbraucher anders als bisher ihre Abschaltpotentiale dem Regelenergiemarkt zur Verfügung stellen und möglichst viele Mengen für etwaige Engpasssituationen im kommenden Winter bereitstellen. Die Auktionen sollen am Ende des Sommers/Anfang des Herbstes – mithin vor Beginn der Heizperiode – beginnen. Das Regelenergieprodukt kann ohne Gesetzesänderungen eingeführt werden und unterliegt auch keinem Genehmigungsvorbehalt durch die Bundesnetzagentur. Ferner ist sich die Bundesregierung der Verordnungsbegründung zufolge einig, dass zugunsten von Letztverbrauchern weitere Entlastungsmaßnahmen implementiert werden sollen.
Darüber hinaus resultiert auch unmittelbar aus der Verordnung ein akuter rechtlicher Handlungsbedarf:
- Dieser betrifft auf Seiten der Gasimporteure die Frage der anteiligen Kostentragung, die teils restriktiven materiellen Ausschlussfristen und die Verpflichtung zur Anspruchsdurchsetzung bei überwiegender Erfolgsaussicht einschließlich der Rückzahlungsverpflichtung bei einer Pflichtverletzung.
- Bilanzkreisverantwortliche sollten überprüfen, ob sie vertraglich berechtigt sind, die Kosten der Umlage an ihre Kunden weiterzurreichen und ob sie über hinreichende finanzielle Mittel verfügen, um die anstehenden Forderungen der Marktgebietsverantwortlichen ohne Zahlungsrückstand zu begleichen. Mit besonderen Herausforderungen sind insoweit Grundversorger konfrontiert, die wegen § 5 Abs. 2 S. 1 Gasgrundversorgungsverordnung (GasVV) die Letztverbraucher sechs Wochen im Voraus (vor dem 1. Oktober 2022) über Preisanpassungen informieren müssen. Da die Verordnung vorschreibt, die Letztverbraucher per Brief in Kenntnis zu setzen, sollen Druckereien bereits Zweifel angemeldet haben, ob der Versand an knapp 25 Millionen Kunden fristgerecht in den kommenden Wochen wird erfolgen können, wie wir aus dem BMWK vernehmen.
- Die Unsicherheit über die Entwicklung des tatsächlichen Geschehens sowie der akute rechtliche Handlungsbedarf werden flankiert von Diskussionen um die Abwälzbarkeit der Umlage auf Letztverbraucher mit Festpreisverträgen oder Verträgen mit speziellen Klauseln zu staatlichen Umlagen. Als Lösung wird nach übereinstimmenden Medienberichten erwogen, das EnSiG nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause im September abermals zu ändern.
Zum Volltext der Gaspreisanpassungsverordnung gelangen Sie hier.
IV. Update 15.08.2022
Am Montag, 15. August 2022, hat die THE erstmals die Höhe der Gasbeschaffungsumlage nach § 4 Abs. 1 GasPrAnpV ermittelt. Diese wird 2,419 ct/kWh (24,19 EUR/MWh) betragen. Insgesamt zwölf Gasimporteure haben nach Angaben des BMWK Ansprüche in Höhe von 34 Milliarden Euro zum Ausgleich ihrer Gasersatzbeschaffungskosten bei der THE im Rahmen der Prognose gemäß § 2 Abs. 8 Nr. 1 und Nr. 2 GasPrAnpV für den Umlagezeitraum bis zum 1. April 2024 angemeldet und werden folglich an dem Umlageverfahren teilnehmen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner soll EU-Finanzkommissar Paolo Gentiloni darum gebeten haben, von seinem Initiativrecht Gebrauch zu machen und Deutschland von der Verpflichtung zur Erhebung einer Umsatzsteuer auf die Gasbeschaffungsumlage auszunehmen. Unabhängig davon kündigte Lindner an, die Einführung abweichender Sondermaßnahmen gemäß Artikel 395 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie (MwStSystRL, RL 2006/112/EG) zu beantragen, um so eine zusätzliche Erhebung der Umsatzsteuer auf die Gasbeschaffungsumlage zu verhindern.
Zudem prüft das BMWK den Umgang mit Festverträgen, die keine zusätzlichen Umlagen oder Erhöhungen zulassen, sowie eine Ausweitung der Gasbeschaffungsumlage auf Fernwärmekunden. Neben der GasPrAnpV plant die Bundesregierung eine Verordnung zu kurzfristig wirksamen Maßnahmen – u.a. Energieeinsparmaßnahmen für Wohnraummietverhältnisse, Unternehmen und öffentliche Gebäude, die bereits ab 1. September 2022 gelten sollen – sowie mittelfristig wirksame Maßnahmen.
Briefing Freshfields Bruckhaus Deringer - Verordnung nach § 26 des Energiesicherungsgesetzes über einen finanziellen Ausgleich durch eine saldierte Preisanpassung
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