Briefing
Arbeitsrechtliche Alternativen zur Kurzarbeit
Die durch das Coronavirus hervorgerufene Krankheit COVID-19 führt in Deutschland weiterhin zu einer massiven Einschränkung des Wirtschaftslebens. Eine Vielzahl von Unternehmen hat deshalb in den letzten Wochen Kurzarbeit eingeführt. Allein im März 2020 habe es nach Aussagen der Bundesagentur für Arbeit rund 470.000 Anzeigen über Arbeitsausfall gegeben. Im Februar lag die Zahl noch bei gut 1.900.
Die Einführung von Kurzarbeit ist ein probates Mittel, um Mitarbeiter im Beschäftigungsverhältnis zu halten und gleichwohl Personalkosten zu senken. Allerdings sind die Voraussetzungen für die Vereinbarung von Kurzarbeit und die erfolgreiche Beantragung von Kurzarbeitergeld hoch. Nicht alle Unternehmen erfüllen die strengen Anforderungen (vgl. hierzu: Arbeitsrecht in Zeiten von Corona, Eckert, Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld – Voraussetzungen und Problemfelder). Viele Unternehmen fragen sich deshalb: Gibt es Alternativen, um Personalkosten zu senken oder den Personaleinsatz gezielt zu steuern? Die Antwort ist eindeutig: Ja, das Arbeitsrecht bietet zahlreiche weitere Möglichkeiten – kurzfristig wie langfristig.
Kurzfristige Maßnahmen
Personalabbau durch Auslauf befristeter Verträge /Abbau von Leiharbeit / „Probezeit“-Kündigungen
Auch in Zeiten von COVID-19 haben Arbeitgeber die Möglichkeit, den Abbau von Arbeitsplätzen durch das Auslaufen befristeter Verträge, die Senkung der Leiharbeitsquote oder Kündigungen innerhalb der Probe- bzw. Wartezeit zu erreichen.
Im Gegensatz zu unbefristeten Arbeitsverträgen sind befristete Arbeitsverhältnisse ihrer Natur nach temporär angelegt. Zur Beendigung bedarf es keines gesonderten (Kündigungs-)Grundes. Vielmehr bedeutet das Auslaufen eines (wirksam) befristeten Arbeitsvertrages gleichsam das Ende der Arbeitsbeziehung.
Arbeitgeber haben zudem die Möglichkeit, Arbeitsverhältnisse unter erleichterten Bedingungen innerhalb der „Probezeit“ zu kündigen. Rechtlich handelt es sich um die sog. Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) (vgl. § 1 Abs. 1 KSchG). Der Kündigungsschutz greift erst bei Arbeitsverhältnissen, die länger als sechs Monate bestehen. Die Vereinbarung einer (daneben bestehenden) Probezeit ist für Unternehmen zudem vorteilhaft, da die vom Gesetzgeber vorgesehene kurze Kündigungsfrist von zwei Wochen gilt.
Praxishinweis: Die verkürzte Zwei-Wochen-Frist findet bis zum Ablauf der Probezeit Anwendung, selbst wenn das Ende der Kündigungsfrist bereits außerhalb der Probezeit liegt. Endet die Probezeit beispielsweise mit Ablauf des 31.Mai 2020, ist eine Probezeitkündigung auch dann wirksam, wenn sie dem Arbeitnehmer noch innerhalb der Probezeit (also einschließlich dem 31. Mai 2020) zugeht.
Eine weitere Form, mit etwaiger Unterauslastung der Belegschaft umzugehen, ist die Senkung der Leiharbeitsquote. Dieser indirekte Personalabbau ist besonders in Krisenzeiten ein beliebtes Flexibilisierungselement. Die konkreten Abbaumöglichkeiten hinsichtlich des Zeitraums und Umfangs ergeben sich rechtlich dabei vor allem beim Blick in die Vertragsbedingungen.
Festlegung von (betrieblichen) Urlaubsgrundsätzen
Im Rahmen der Corona-Krise ergeben sich für Unternehmen auch urlaubsrechtliche Gestaltungsspielräume. So liegt insbesondere die Frage nahe, ob und inwieweit ausstehender Jahresurlaub (einseitig) durch den Arbeitgeber angeordnet werden kann. Dem steht meist das Arbeitnehmerinteresse entgegen, den Urlaub hinsichtlich der Dauer und Lage entsprechend der eigenen Erholungsbedürfnisse frei festlegen zu können. Rechtlich ist dieser Interessenkonflikt nicht zu unterschätzen. Nach dem Wortlaut des § 1 Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) hat der Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub, welchen der Arbeitgeber als „Urlaubsschuldner“ zu gewähren hat. Damit scheint die arbeitgeberseitige Urlaubsfestlegung im Grundsatz möglich. Allerdings hat der Arbeitgeber die Urlaubswünsche des Arbeitsnehmers zu berücksichtigen, sofern nicht dringende betriebliche Belange oder vorrangige Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen (§ 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG). Dringende betriebliche Belange sind dabei solche, die in der betrieblichen Organisation, im technischen Arbeitsablauf, der Auftragslage und ähnlichen Umständen ihren Grund haben. Diese Voraussetzungen können im Einzelfall, z.B. durch COVID-19 bedingte rückläufige Umsätze oder eine eingeschränkte Auftragslage, durchaus vorliegen. In der Vergangenheit war es aus Arbeitgebersicht mit Blick auf die Zufriedenheit der eigenen Mitarbeiter meist nicht ratsam, den Urlaub einseitig festzulegen. Praktisch ist in Zeiten der Corona-Krise eine solch einseitige Urlaubsanordnung indes durchaus denkbar. Dies gilt vor allem, sofern Arbeitnehmer (monatelang) keine Urlaubswünsche äußern und der Arbeitgeber eine angemessene Ankündigungsfrist beachtet.
Ferner besteht die Möglichkeit, betriebliche Urlaubsgrundsätze in Abstimmung mit dem Betriebsrat per Betriebsvereinbarung festzulegen. Mit Blick auf das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 5 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) können die Betriebspartner (in Zeiten von COVID-19 wohl auch kurzfristig ohne längere Ankündigungsfrist) im Einvernehmen Betriebsferien festlegen. Diese gelten als „dringender betrieblicher Belang“ i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG und sind in der Regel gegenüber abweichenden Urlaubswünschen der Arbeitnehmer vorrangig. Eine Betriebsvereinbarung zur Gestaltung der Urlaubsgrundsätze könnte auch vorsehen, dass bis zum 31. August 2020 zwei Drittel der Urlaubsansprüche des Jahres 2020 genommen werden müssen.
Praxishinweis: Den Betriebspartnern bleibt unbenommen, COVID-19 bedingte betriebliche Urlaubsgrundsätze einvernehmlich festzulegen, wobei unter Berücksichtigung der (älteren) Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht der gesamte Jahresurlaub in Form von Betriebsferien angeordnet werden darf.
Unbezahlter Urlaub / Ruhendes Arbeitsverhältnis
Im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer ist es auch möglich, durch unbezahlten Urlaub eine kurzfristige finanzielle Erleichterung auf Seiten des Unternehmens herbeizuführen. Im Gegenzug sind Arbeitnehmer von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung vorübergehend befreit. Dieses Modell kommt beispielsweise in Betracht, wenn die Voraussetzungen von Kurzarbeitergeld nicht vorliegen oder Arbeitnehmer für einen selbstbestimmten Zeitraum frei haben möchten (z.B. zur Versorgung von Familienangehörigen).
Rechtlich handelt es sich bei unbezahltem Urlaub um die vorübergehende einvernehmliche Suspendierung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten unter Aufrechterhaltung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Dieser Zustand wird als ruhendes Arbeitsverhältnis bezeichnet. Für die Zeit des unbezahlten Urlaubs entfällt auch der Beitrag zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung, da der Arbeitnehmer für diese Zeit kein Arbeitsentgelt erhält. Für einen Zeitraum von einem Monat fingiert § 7 Abs. 3 S.1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) allerdings zu Gunsten der Arbeitnehmer das Fortbestehen einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt und dadurch den Versicherungsschutz.
Praxishinweis: Sobald der unbezahlte Urlaub länger als einen Monat dauert, droht der Verlust des Versicherungsschutzes. Hierauf sollten Arbeitgeber ihre Mitarbeiter hinweisen.
Nutzung von Arbeitszeitkonten
In Unternehmen, in denen Regelungen zu Arbeitszeitkonten bestehen, können Arbeitnehmer im Einklang mit den jeweiligen Regelungen dazu angehalten sein, sowohl positives Zeitguthaben abzubauen als auch negatives Zeitguthaben aufzubauen. Unternehmen müssen sich allerdings bewusst sein, dass dies nicht zu einer kurzfristigen Entlastung von Personalkosten führt. Die insoweit genutzten Stunden sind vom Arbeitgeber zu vergüten. Der Aufbau von Minusstunden ist wirtschaftlich gesehen ein Entgeltvorschuss des Arbeitgebers.
Gleichwohl ist die Nutzung von Arbeitszeitkonten – insbesondere bei lediglich kurzzeitigen Auftragsrückgängen – ein probates Mittel, um Unterauslastungen abzufangen. Der Aufbau von negativen Zeitsalden ist vor allem für Unternehmen interessant, die nach der Krise kurzfristig mit einem überdurchschnittlichen Arbeitsaufkommen rechnen.
Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen und Vergütungszahlungen
Eine weitere Maßnahme zur kurzfristigen finanziellen Entlastung von Unternehmen besteht in der derzeitigen erleichterten Stundungsmöglichkeit von Sozialversicherungsbeiträgen. Hierzu hat der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einem Rundschreiben mitgeteilt, dass sich Unternehmen und Betriebe, die sich durch die Corona-Pandemie in ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten befinden, durch Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen ohne Sicherheitsleistung finanziell entlasten können. Voraussetzung ist allerdings, dass die Unternehmen auch die Entlastungsmöglichkeiten durch Kurzarbeitergeld und sonstige Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen nutzen.
Die Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen erfolgt gemäß § 76 Abs. 2 SGB IV auf Antrag des Arbeitgebers bei der jeweils zuständigen Krankenkasse. Nach dem Rundschreiben des GKV wird vorerst für die Beitragsmonate März und April 2020 auf die ansonsten notwendige Sicherheitsleistung verzichtet. Auch Stundungszinsen, Säumniszuschläge und Mahngebühren werden nicht berechnet. Weitere Informationen finden Sie in einem FAQ des GKV (Link).
Unter Umständen kommt auch eine Stundung der Vergütungszahlungen an Mitarbeiter in Betracht. Hierfür ist allerdings eine Vereinbarung mit dem Mitarbeiter erforderlich, die den Zeitpunkt der Fälligkeit des Lohns nach hinten verschiebt. Dadurch entfällt nicht die Vergütungspflicht für den jeweiligen Zeitraum, sondern lediglich der Auszahlungszeitpunkt wird an die vorübergehende Krise angepasst. Der Arbeitgeber kommt bis zu dem vereinbarten Zeitpunkt nicht in Zahlungsverzug und hat keine Verzugszinsen zu zahlen. Bei dem Abschluss einer Stundungsvereinbarung sind allerdings aus Arbeitgebersicht verschiedene Voraussetzungen zu beachten. So bedarf die Vereinbarung bei einer arbeitsvertraglichen Schriftformklausel nicht nur der Schriftform (§ 126 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), sondern die Regeln des Mindestlohngesetzes sind einzuhalten. Bei einem formularmäßigen Verzicht sind außerdem die Grenzen des AGB-Rechts zu beachten.
Personalpartnerschaft zwischen Unternehmen
Einzelne Unternehmen profitieren auch von der derzeitigen Krise. So haben zum Beispiel der Lebensmittel-Einzelhandel und Online-Versandunternehmen eine erhöhte Nachfrage zu verzeichnen. Diese Unternehmen benötigen zeitweise sogar zusätzliche Mitarbeiter. Diese Mitarbeiter können sie – deren Einverständnis vorausgesetzt – von Unternehmen „beziehen“, die stärker von der Krise betroffen sind (sog. Personalpartnerschaft). Die Beschäftigung der Mitarbeiter kann dabei sowohl in Teil- als auch in Vollzeit erfolgen. Das „verleihende“ Unternehmen reduziert dadurch unmittelbar seine Personalkosten. Für eine Personalpartnerschaft kommen zwei verschiedene Modelle in Betracht:
Arbeitnehmerüberlassung
Nicht selten wird in derartigen Situationen zur Arbeitnehmerüberlassung zwischen den beteiligten Unternehmen geraten. Das Unternehmen mit dem Personalüberschuss „verleiht“ die Arbeitnehmer an das entleihende Unternehmen, welches das Personal vorübergehend aufstockt. Hierbei müssen in der Regel die Voraussetzungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) eingehalten werden. Der Verleiher bedarf deshalb grundsätzlich einer sog. Überlassungserlaubnis. Fehlt diese – wie im Regelfall –, drohen unter anderem der Übergang des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses auf das entleihende Unternehmen sowie empfindliche Sanktionen für die beteiligten Unternehmen.
Das AÜG bietet allerdings auch Ausnahmen von den strengen Voraussetzungen für die Überlassung von Arbeitnehmern. Konzernunternehmen können meist auf § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG zurückgreifen (sog. Konzernprivileg). Keiner Erlaubnis bedürfen nach § 1a Abs. 1 AÜG auch kleinere Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten, die zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen einen Arbeitnehmer, der nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird, an einen anderen Arbeitgeber überlassen.
Am vielversprechendsten ist für die meisten größeren Unternehmen auf den ersten Blick jedoch § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG: Weite Teile des AÜG finden keine Anwendung, wenn die Überlassung nur gelegentlich erfolgt und der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. An das Merkmal „gelegentlich“ werden allerdings strenge Voraussetzungen gestellt. Es können bereits formlose Absprachen zwischen Unternehmen eine Wiederholungsabsicht indizieren und somit der Voraussetzung „gelegentlich“ entgegenstehen. Auch wenn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen seiner Auslegungshilfe zur Arbeitnehmerüberlassung (ohne rechtlich bindende Wirkung) die Anwendung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 a AÜG in der gegenwärtigen Krisensituation für sachgerecht hält, birgt diese Konstellationen in der Praxis einige Risiken. Aufgrund der strengen Rechtsfolgen einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung sollte eine Personalpartnerschaft auf Basis des AÜG nur nach detaillierter rechtlicher Analyse erfolgen.
Befristete Beschäftigung beim „neuen“ Arbeitgeber
Eine Personalpartnerschaft kann auch auf einem anderen Weg erreicht werden: Das Arbeitsverhältnis beim „eigentlichen“ Arbeitgeber wird vorübergehend ruhend gestellt bzw. die Arbeitszeit vorübergehend reduziert und der betroffene Mitarbeiter schließt mit dem neuen Arbeitgeber einen befristeten Arbeitsvertrag. In der Regel wird eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) möglich sein. Diese scheidet aber vor allem dann aus, wenn der Arbeitnehmer bereits zuvor beim neuen Arbeitgeber beschäftigt war. Eine sachgrundlose Befristung kann (nur) bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren vereinbart werden. Bis zu dieser Dauer ist eine dreimalige Verlängerung möglich.
Praxishinweis: Die Parteien der Personalpartnerschaft sollten bei der Vertragsgestaltung insbesondere auf die zeitliche Ausgestaltung achten. Die Dauer des Ruhens des Arbeitsverhältnisses bzw. die Reduzierung der Arbeitszeit beim „eigentlichen“ Arbeitgeber und die befristete Laufzeit des neuen Arbeitsverhältnisses sollten möglichst synchron ausgestaltet werden. Arbeitnehmern ist zu raten, sich von beiden Arbeitgebern die Nebentätigkeit gestatten zu lassen.
Umgang mit (variabler) Vergütung
Aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers folgt bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers zwar keine Pflicht zum Gehaltsverzicht. Verschiedene Unternehmen haben aber bereits angekündigt, dass ihre Führungskräfte als Reaktion auf die Corona-Krise vorübergehend freiwillig auf einen Teil ihres Gehalts verzichten. Rechtlich handelt es sich bei einem derartigen Verzicht um einen Erlassvertrag. Um zu vermeiden, dass sich Arbeitnehmer später auf die Unwirksamkeit einer solchen Vereinbarung berufen können, sind verschiedene rechtliche Grenzen zu beachten. So ist ein Verzicht für bestimmte Vergütungsansprüche gesetzlich ausgeschlossen, wie z.B. die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 12 EFZG) oder Urlaubsentgelt (§ 13 I BUrlG). Darüber hinaus kann auf tarifliche Rechte nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich verzichtet werden. Ähnliches gilt für Ansprüche aus Betriebsvereinbarungen. Bei einem formularmäßigen Verzicht sind außerdem die Grenzen des AGB-Rechts zu beachten. Ferner ist in manchen Fällen auf die Einhaltung der Schriftform zu achten (§ 126 BGB).
Weitere finanzielle Entlastungsmöglichkeiten bestehen im Umgang mit der variablen Vergütung von Mitarbeitern. Je nach Ausgestaltung des Incentivierungsprogramms können die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie bereits bei der Zielerreichung und damit bei der Bemessung der variablen Vergütung berücksichtigt werden. Ebenfalls ist es im Einzelfall möglich, Bonusentscheidungen und Bonuszahlungen zu verschieben, um das Ausmaß der Corona-Krise besser einschätzen zu können. Darüber hinaus besteht im Falle eines leistungsabhängigen Ermessensbonus nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Möglichkeit, einen solchen Bonus bei Vorliegen besonders gewichtiger, außergewöhnlicher Umstände trotz Erreichens persönlicher Ziele auf „Null“ festzusetzen. Derartige außergewöhnliche Umstände hat das Bundesarbeitsgericht im Rahmen der Finanzkrise bei Banken gesehen, die nur durch staatliche Liquiditätshilfen eine Insolvenz vermeiden konnten. Ob die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu einer vergleichbaren Situation führen und die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Finanzkrise übertragbar sind, hängt vom Inhalt der Bonusvereinbarung und von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ab.
Langfristige Maßnahmen
Neben kurzfristigen Lösungen sollten Unternehmen auch langfristige Maßnahmen in den Blick nehmen, um Personalkosten an die Auswirkungen der Corona-Pandemie anzupassen. Dies umfasst eine Reduzierung des Vergütungsniveaus sowie als ultima ratio einen betriebsbedingten Personalabbau.
Reduzierung der Vergütung
Auch in wirtschaftlichen Krisen können Unternehmen die Vergütung ihrer Mitarbeiter – mit Ausnahme der strengen Regeln unterliegenden Änderungskündigung – praktisch nur einvernehmlich reduzieren. Arbeitnehmer werden ihr arbeitsvertraglich geschuldetes Entgelt meist nur gegen eine (werthaltige) Gegenleistung reduzieren wollen. Vor dem Hintergrund großer Umsatzeinbußen und den in diesen Zeiten durchaus konkreten Szenarien betriebsbedingter (Massen-)Entlassungen liegt als „negativer“ Anreiz zunächst der vorübergehende arbeitgeberseitige Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen nahe, z.B. im Sinne einer „Beschäftigungsgarantie“ für einen konkreten Zeitraum. Gleichfalls ist denkbar, eine Reduzierung nicht in puncto Fixgehalt, sondern „nur“ hinsichtlich variabler Vergütungsbestandteile zu vereinbaren. Als „positiver“ Anreiz könnten den Arbeitnehmern (nachträgliche) Prämien- oder Bonusregelungen für bessere wirtschaftliche Zeiten in Aussicht gestellt werden.
Personalabbau durch betriebsbedingte Kündigungen
Arbeitgeber in Krisensituationen haben letztlich als ultima ratio die Möglichkeit, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Dafür sind in der Regel die Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes wie die Pflicht zur Sozialauswahl und die Kündigungsfrist zu beachten. Auch wenn die Voraussetzungen in längeren Krisenzeiten oftmals vorliegen, hat die Entlassung zahlreicher Mitarbeiter andere Tücken, welche die Kündigung im Ergebnis – trotz Vorliegen eines Kündigungsgrundes unwirksam werden lassen können. Wie vor jeder Kündigung ist der Betriebsrat ordnungsgemäß anzuhören. Im Falle einer geplanten Massenentlassung, d.h. bei Erreichen der Schwellenwerte des § 17 KSchG, ist die Anzeigepflicht gegenüber der örtlichen Agentur für Arbeit und das vorgeschaltete Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat zu beachten (eine Massenentlassung kann bereits ab fünf betroffenen Arbeitnehmern vorliegen). Dieses Anzeige- und Konsultationsverfahren ist sehr zeitintensiv und fehleranfällig. Die Einhaltung aller Vorschriften ist aber essenziell, da Verstöße zur Unwirksamkeit aller ausgesprochenen Kündigungen führen. Bei sorgfältiger Vorbereitung sind die Voraussetzungen aber gut handhabbar und die Rettung des gesamten Unternehmens kann durch den Abbau einzelner Arbeitsplätze oder die Schließung einzelner Abteilungen gelingen.
Häufig besteht das Missverständnis, dass sich Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen ausschließen. Das ist nicht korrekt (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Februar 2012). Arbeitgebern bleibt es unbenommen, auch während der Kurzarbeit betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Dies ist auch gegenüber Mitarbeitern möglich, die sich in Kurzarbeit befinden, soweit im Betrieb nicht gegenteilige Regelungen gelten (z.B. aufgrund von Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen). Beide Instrumente verfolgen eine unterschiedliche Zielrichtung: Bei der Kurzarbeit geht der Arbeitgeber von einem vorübergehenden Beschäftigungsrückgang aus. Für eine betriebsbedingte Kündigung bedarf es hingegen des (voraussichtlich) dauerhaften Entfalls der Arbeitsaufgaben des gekündigten Mitarbeiters.
Stellt der Arbeitgeber während der Kurzarbeitsphase fest, dass entgegen seiner früheren Einschätzung doch ein Umstand vorliegt, der zu einem dauerhaften Arbeitsausfall und einem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit führt, kann er auf Grundlage einer unternehmerischen Entscheidung eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen. Im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses muss der Arbeitgeber aber darlegen, dass sich nach Einführung der Kurzarbeit die strukturelle Situation im Unternehmen geändert hat.
Praxishinweis: Arbeitgeber sollten sorgfältig prüfen, ob sie auch für Bereiche, in denen zeitnah betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden könnten, Kurzarbeit anzeigen. Der Begründungsaufwand im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses wird dadurch erhöht.