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Briefing

Entgelt­transparenz­gesetz: LAG spricht Arbeit­nehmerin höhere Vergütung wegen Bezahlung unter Median zu

Am gestrigen Mittwoch hat das Landes­arbeits­gericht Baden-Württemberg einer Arbeit­nehmerin eines Automobil­konzerns einen Anspruch auf höheres Arbeits­entgelt nach dem Entgelt­transparenz­gesetz zugesprochen (Az. 4 Sa 26/23). Die Klägerin klagte ausweislich der Presse­mitteilung des Gerichts auf eine Anhebung von insgesamt drei Vergütungs­komponenten: Grundgehalt, Dividenden­äquivalent sowie Company Bonus. Der Klage wurde hinsichtlich der ersten beiden Komponenten stattgegeben, im Hinblick auf den Company Bonus war die Sache noch nicht zur Entscheidung reif, sondern bedurfte noch weiterer Sach­verhalts­aufklärung.

Das Entgelt­transparenz­gesetz regelt in § 3 Abs. 1 und § 7, dass bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgelt­bestandteile und Entgelt­bedingungen verboten ist, d.h. es darf kein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Das Gesetz sieht für Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten einen individuellen Auskunfts­anspruch jedes Arbeitnehmers hinsichtlich der sog. Median-Vergütung des jeweils anderen Geschlechts mit gleichen oder gleichwertigen Tätigkeiten (Vergleichs­tätigkeiten) vor. Der Median gibt nicht die durch­schnittliche Vergütung der Mitarbeiter des anderen Geschlechts an, sondern den Zentralwert, der zwischen den 50% der Vergütung der vergleichbaren Mitarbeiter mit der höchsten und der niedrigsten Vergütung. Zeigt das Ergebnis, dass die Vergütung unter dem Zentral­wert liegt, kann der Beschäftigte gestützt auf dieses Ergebnis Klage erheben, gerichtet auf gleiches Entgelt gem. Art. 157 AEUV, §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG sowie Entschädigung nach § 15 AGG.

In der Praxis erweist sich dabei häufig schon die Frage nach der Vergleichs­gruppe als streit­trächtig. Anders in dem vom LAG Baden-Württemberg entschiedenen Fall, hier war die Abgrenzung der einschlägigen männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe von deren Vergütung zwischen den Parteien ausweislich der Presse­mitteilung unstreitig, da unternehmens­seitig ein sog. Entgelt­transparenz-Dashboard eingeführt wurde, über das man die Höhe des eigenen Gehalts im Verhältnis zur Vergleichs­gruppe einsehen kann (was zu einer Vielzahl weiterer Klagen geführt hat, die derzeit noch beim Arbeitsgerichts Stuttgart anhängig sind). Im Ergebnis zeigte sich, dass die Gehalts­bestandteile Grundgehalt und Dividenden­äquivalent bei der Klägerin geringer waren als im Median ihrer männlichen Vergleichsgruppe.

Entscheidend für den Erfolg der Klage war erneut, wie bereits in anderen arbeits­gerichtlichen Verfahren der letzten Jahre, die besondere Beweislast­verteilung im Rahmen der Ansprüche auf Vergütung und Entschädigung. Maßgeblich ist insofern die Norm des § 22 AGG, die eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vorsieht. Dies bedeutet: Wenn im Streitfall die klagende Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benach­teiligung vorgelegen hat. Durch die Informationen, die Beschäftigte im Rahmen des individuellen Auskunftsanspruchs nach § 10 EntgTranspG und die zu erteilende Auskunft nach §§ 11 ff. EntgTranspG erhalten, werden sie in die Lage versetzt, bei einer Entgeltgleichheitsklage ihrer Darlegungs- und Beweislast nachzukommen.

Besteht danach die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die beklagte Partei die Beweislast dafür, dass der Gleich­behandlungs­grundsatz nicht verletzt worden ist. Dafür muss der Vollbeweis erbracht werden, d.h. der Arbeit­geber muss Tatsachen vortragen und gegebenen­falls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG Urt. v. 21.1.2021 – 8 AZR 488/19).

Dies erweist sich in der Praxis als schwierig, zumal den Gerichten bei der Beweiswürdigung ein Beurteilungsspielraum zukommt. In dem vom LAG Baden-Württemberg entschiedenen Fall scheiterte der Arbeit­geber. Zwar hatte man sich arbeitgeber­seitig darauf berufen, dass die männlichen Kollegen der Klägerin durchschnittlich etwas länger im Unter­nehmen beschäftigt seien und die Klägerin unter­durchschnittliche Leistungen erbracht habe. Die Kammer sah in dem Vorbringen jedoch keine hinreichend konkrete Darstellung der arbeitgeberseitig angewandten Differenzierungs­kriterien, da das Vorbringen nicht habe erkennen lassen, wie die Kriterien „Berufs­erfahrung“, „Betriebs­zugehörigkeit“ und „Arbeits­qualität“ im Einzelnen bewertet wurden und wie diese Kriterien zueinander gewichtet wurden. Eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung der Einhaltung des Grundsatzes der Entgelt­gleichheit war damit aus Sicht der Kammer nicht möglich.

Das oft als „Papiertiger“ bezeichnete Entgelt­transparenz­gesetz zeigt damit sieben Jahre nach seinem Inkrafttreten zunehmend Zähne. Nach der Entscheidung des Bundes­arbeits­gerichts zu Equal Pay im vergangenen Jahr, in der insbesondere thematisiert wurde, welche Gründe eine unterschiedliche Behandlung bei gleicher Arbeit überhaupt rechtfertigen können, ist auch diese Entscheidung des LAG Baden-Württemberg geeignet, das Thema wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken und das Interesse an der Geltend­machung eines Auskunfts­anspruchs als Grundlage für die Feststellung einer möglichen geschlechts­bezogenen Diskriminierung steigen zu lassen.

Aus Arbeit­geber­sicht ist daher anzuraten, mögliche Gefälle im Entgelt proaktiv zu ermitteln und kritisch zu hinterfragen, ob (i) hinreichende sachliche und nicht auf das Geschlecht bezogene Gründe für die Differenzierung vorliegen und ob man (ii) in der Lage ist, diese Gründe im Falle einer gerichtlichen Auseinander­setzung zur Überzeugung eines Gerichts darzulegen und zu beweisen.

Die Bedeutung des Themas wie auch die Aufmerksamkeit wird in naher Zukunft mit der Umsetzung der Entgelt­transparenz­richtlinie noch einmal deutlich zunehmen. Einen Beitrag mit einer Analyse der Entgelt­transparenz­richtlinie finden Sie hier.