Skip to main content

Briefing

ESG im Arbeitsrecht: Was steckt dahinter?

Das Thema ESG ist aus der heutigen Unternehmens­politik nicht mehr wegzudenken. Nicht nur steigen die regulatorischen Anforderungen an Unternehmen auf nationaler wie europäischer Ebene, sondern ebenso die Erwartungen von Bewerbern und Mitarbeitern an eine sinnhafte und nachhaltige Tätigkeit. Diese Faktoren führen zu einem rasanten Wandel, bis hin zur Einstellung von Geschäftsfeldern und Fokussierung auf neue Themen. Die Nichtbeachtung gesetzlicher ESG-Pflichten kann erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen, von Bußgeldern bis zum Ausschluss von Vergabeverfahren. Hinzu kommen Reputations­risiken und die Erschwernis, Kapital bei neuen Investoren zu generieren.

Doch was ist „ESG“ genau und welcher Bezug besteht zum Arbeitsrecht?

ESG steht für: Environmental, Social und Governance. Eine allgemeingültige Definition des Inhalts dieser Begriffe existiert nicht, sie bezeichnen alle umwelt­rechtrechtlichen, sozialen und risiko­management­bezogenen Angelegen­heiten im Unternehmen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: Ein langfristiges und nachhaltiges Wirtschaften. Schlagwortartig lassen sich diese drei Elemente wie folgt skizzieren:

  • „Environmental“ umfasst Themen wie Klima(schutz), Ressourcen­knappheit und -nutzung, Wasser und Artenvielfalt.
  • „Social“ beinhaltet die Verantwortung für die eigene Belegschaft, deren Sicherheit und Gesundheit, aber auch für Tätige in der Lieferkette sowie Verbraucher und auch betroffene Gemeinden.
  • Hinter „Governance“ verbergen sich etwa das Risiko- und Reputations­management eines Unternehmens sowie Aufsichts(rats)­strukturen und Compliance­systeme.

Diese Aufzählungen sind nicht abschließend. Unternehmen müssen sich über die relevanten Inhalte und Maßnahmen im Bereich ESG für ihre Geschäfts­bereiche informieren und eine ESG-Strategie erarbeiten.

Dieses Briefing soll einen Überblick über die arbeitsrechtliche Seite von ESG bieten. Die einzelnen Themen werden wir im Rahmen unserer „ESG in Employment Law“-Reihe in den nächsten Monaten näher beleuchten, unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung.

Das Liefer­ketten­sorgfalts­pflichten­gesetz (LkSG)

Mit der Einführung des LkSG zum 01.01.2023 hat Deutschland in Bezug auf unter­nehmerische Sorgfalts- und Dokumentations­pflichten in der Lieferkette eine Vorreiterrolle übernommen. Mittlerweile wird ein Richtlinientext zu diesem Themenbereich auch auf EU-Ebene endverhandelt, der teilweise noch über die Anforderungen des LkSG hinausreicht.

Seit dem 01.01.2024 gilt das LkSG für Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die mindestens 1.000 (statt zuvor 3.000) Mitarbeiter beschäftigen. Mit diesem Gesetz soll bestimmten menschenrechts- und umwelt­bezogenen Risiken in der Lieferkette begegnet werden, indem diese identifiziert und ihrer Verwirklichung durch Präventions­­maßnahmen vorgebeugt bzw. bei Verstößen mit Abhilfe­maßnahmen begegnet wird. Darunter finden sich viele Themen mit arbeits­rechtlichem Bezug wie Equal Pay, Arbeitsschutz, Mindestlohn und Urlaubs- und Arbeitszeit­regelungen. Nicht nur die geschützten Rechts­positionen weisen vielfach einen Zusammenhang zum Arbeitsrecht auf, auch die Umsetzung der Anforderungen des LkSG in der eigenen Organisation beinhaltete arbeitsrechtlich relevante Schritte, sei es die Einführung unternehmens­interner Richtlinien oder Kodizes, die auch mitbestimmungs­pflichtige Regelungen beinhalten können (beispielsweise § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, wenn Sorgfalts­maßnahmen festgelegt werden, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer tangieren) oder die Ernennung des „Menschenrechts­beauftragten“ nach § 4 Abs. 3 S. 1 LkSG.

Das Hinweis­geber­schutz­gesetz

Das Hinweis­geber­schutz­gesetz (HinSchG) in Umsetzung der sog. EU-Whistleblower-Richtlinie ist zum größten Teil am 02.07.2023 in Kraft getreten. Seit dem 01.12.2023 gilt auch die Bußgeldpflicht für das Unterlassen der Einrichtung oder des Betriebs einer internen Meldestelle; seit dem 17.12.2023 die Pflicht zur Einrichtung der internen Meldestelle für private Beschäftigungs­geber mit 50 bis 249 Beschäftigten. Ziel des HinSchG ist der Schutz von Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben, die wahr sind oder die sie im Zeitpunkt der Meldung für wahr halten durften und diese über die gesetzlich vorgesehenen Meldekanäle melden.

Das Kernstück des Gesetzes und auch aus arbeits­rechtlicher Sicht von großer Bedeutung ist das Repressalien­verbot in § 36 Abs. 1 S. 1 HinSchG. Hinweisgebende Personen sollen so vor (potentiell) nachteiligen Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit geschützt werden, die eine Reaktion auf eine Meldung oder Offenlegung sind. Hierzu zählen neben Kündigungen oder Abmahnungen eine Vielzahl weiterer Maßnahmen, wie die Nicht­verlängerung einer Befristung, eine schlechte Bewertung, Kürzung des Bonus oder eine Versetzung. Problematisch für Unternehmen ist hierbei die in § 36 Abs. 2 S. 1 HinSchG vorgesehene Beweislastumkehr. Behauptet die hinweisgebende Person, dass ein erlittener Nachteil im Zusammenhang mit einer Meldung/Offenlegung steht, muss der Arbeitgeber dies widerlegen. Auch hier können Mitbestimmungs­rechte des Betriebsrats zu beachten sein, etwa wenn eine Pflicht zur Meldung vorgesehen werden soll oder bestehende Regelungs­spielräume bei der Einrichtung technischer Systeme für die Entgegennahme und Weiter­verarbeitung von Meldungen genutzt werden.

Arbeitszeit­(erfassung)

Die arbeitgeberseitige Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit ihrer Beschäftigten, die der Europäische Gerichtshof am 14.05.2019 (C 55/18, NZA 2019, 683) festgestellt hat, muss nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in das deutsche Arbeitszeitgesetz implementiert werden. Der am 18. April 2023 bekannt gewordene Referentenentwurf des Bundes­ministeriums für Arbeit und Soziales ist nach erheblicher Kritik nicht mehr aufgegriffen worden. Bestrebungen, das Thema durch den parlamentarischen Prozess zu bringen, sind im Moment nicht erkennbar; Lesungen zu dem Thema sind nicht angesetzt. Ob und wann im Jahr 2024 die Kodifizierung der Pflicht zur Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit (auf elektronischem) Wege kommt, ist unklar. Das BAG geht davon aus, dass die entsprechende Pflicht bereits besteht. Auf Basis der derzeit noch geltenden Gesetzeslage droht bei Verstößen gegen die Pflicht zur Aufzeichnung der gesamten werktäglichen Arbeitszeit allerdings nur dann ein Bußgeld, wenn diesen eine Anordnung der zuständigen Aufsichtsbehörde vorausgegangen ist.

Mitbestimmungs­recht

Die Umsetzung (gesetzlicher) ESG-Themen kann zahlreiche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bzw. Unterrichtungs­rechte des Wirtschafts­ausschusses auslösen. Beispiele sind:

  • § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG im Falle betrieblicher Vorgaben zu nachhaltigem Verhalten der Mitarbeiter im Betrieb;
  • § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bei der Ausgestaltung der Arbeitszeit;
  • § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der betrieblichen Lohngestaltung (Einbeziehung von ESG-Zielen).

Equal Pay

Lohn­gleich­behandlung ist ein weiteres arbeitsrechtliches Kernelement von ESG und ist im Rahmen der sog. „Equal Pay“-Entscheidung des BAG vom 16.02.2023 (8 AZR 450/21) erneut in den Fokus gerückt; flankiert von der am 06.06.2023 in Kraft getretenen EU-Lohn­transparenz­richtlinie. Letztere strebt Verbesserungen zur Lohngleichheit an und erfordert eine weitgehende Reform des Entgelt­transparenz­gesetzes. Nach der Richtlinie müssen Arbeitgeber Vergütungs­strukturen aufstellen, die gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gewährleisten. Hervorzuheben sind Arbeitgeber­pflichten zur Bestimmung geschlechts­neutraler Kriterien für die Entgelt­festlegung und -entwicklung sowie – im Vergleich zum Entgelt­transparenz­gesetz (für vertiefte Informationen vgl. unser Briefing „Die neue EU-Entgelt­transparenz­richtlinie kommt – Ende des Gender-Pay-Gap?“) – deutlich weitergehende Informations- und Auskunftsansprüche der Mitarbeiter. Eine erleichterte Rechtsdurchsetzung für Mitarbeiter durch Prozess­standschaften, Verbandsklagen, Beweis­erleichterungen und Bußgelder sollte Arbeitgeber dazu veranlassen, sich rechtzeitig mit den zukünftigen Pflichten auseinanderzusetzen.

Die CSRD-Berichterstattung (dazu VI.) verlangt von den Unternehmen Transparenz über angemessene Löhne und Gehälter. Die diesbezügliche Berichtspflicht entfällt nur, wenn alle Mitarbeiter nach den jeweils anwendbaren Vergleichsgrößen („benchmarks“) angemessen entlohnt werden. Flankiert werden die Bestrebungen zur Lohngleichheit durch die Führungs­positionen-Gesetze (FüPoG). Die dort enthaltenen Geschlechter­quoten sehen u.a. vor, dass börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen seit dem 01.08.2022 mindestens eine Frau in den Vorstand berufen müssen, wenn dieser aus mehr als drei Personen besteht.

Bericht­erstattungs­pflichten

Die am 05.01.2023 in Kraft getretene EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeits­bericht­erstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)) sieht vor, dass Unternehmen von öffentlichem Interesse öffentlich Bericht erstatten müssen über Themen wie Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmer­belange, Achtung der Menschenrechte, Bekämpfung von Korruption und Bestechung sowie Diversitäts­konzepte. Die CSRD sieht eine zeitlich gestaffelte Anwendung der Vorgaben vor. So sind z.B. Unternehmen, die nach bisher geltendem Recht der Pflicht zur Abgabe eines nichtfinanziellen Berichts unterliegen, ab dem 01.01.2024 zur Anwendung verpflichtet, während erstmalig durch die CSRD verpflichtete Unternehmen diese erst ab dem Geschäftsjahr 2025 anwenden müssen. Der CSRD liegt ein prinzipien­basierter Ansatz zugrunde, der durch einen allgemeinen Berichts­rahmen definiert wird. Innerhalb dieses Rahmens müssen Unternehmen zu den für sie als wesentlich erachteten Themen­aspekten berichten.

Integraler Bestandteil des CSRD sind die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), deren Set 1 (sektor­übergreifend) am 31.07.2023 durch die Europäische Kommission verabschiedet worden ist. Bei den ESRS handelt es sich um die Berichts­standards, die ab dem 01.01.2024 für die Nach­haltig­keits­bericht­erstattung verpflichtend zu beachten sind, also worüber Unternehmen zu berichten haben. Voraussichtlich im Juni 2024 wird der Entwurf des Set 2 (sektorspezifische EU-Berichtsstandards) veröffentlicht.

Im arbeits­rechtlichen Kontext beziehen sich die (Nachhaltigkeits-)Bericht­erstattungs­pflichten auf Maßnahmen in Bezug auf die eigene Belegschaft, auf die Arbeits­bedingungen und die Chancen­gleichheit im Unternehmen. Aufgrund der Ausführungen im ESRS ist aktuell davon auszugehen, dass sich die Berichtspflicht auch auf Tochter­unternehmen und damit auch auf Auswirkungen auf diese Belegschaft zu erstrecken hat.

Nachhaltige Vergütungs­politik

Mit der steigenden Bedeutung von ESG rückt auch die Einbeziehung in Vergütungs­komponenten, vor allem von Vorständen, weiter in den Fokus. Durch das „Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrichtlinie“ (ARUG II), das bereits seit dem 01.01.2020 gilt, soll die Vergütungs­struktur von Vorstands­mitgliedern auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet werden, wobei in der 2. Aktionärsrechte-RL darauf verwiesen wird, dass die Leistung von Mitgliedern der Unternehmens­leitung auch „anhand nicht-finanzieller Kriterien, gegebenenfalls einschließlich ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren“ zu bewerten sei. Ähnlich betonte auch im Gesetz­gebungs­verfahren der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, dass bei der Wahl der Vergütungsanreize auch soziale und ökologische Faktoren mitzuberücksichtigen seien. Über die Vorstandsebene hinaus ist so die Prüfung, ob und wie ESG-Ziele sinnvoll in Vergütungs­systeme börsen­notierter Unternehmen integriert werden können, zu einer Aufgabe für Aufsichtsräte geworden.

Datenschutz

Unternehmen kann an der Verarbeitung personenbezogener Mitarbeiterdaten gelegen sein, um ESG-Ziele zu erreichen, beispielsweise:

  • Mitarbeiter­mobilitäts­daten wie die Länge des Arbeitsweges und die genutzten Verkehrsmittel, um auf diesem Wege z.B. über Zuschüsse für den ÖPNV zum Zwecke der möglichst klimaneutralen Anreise zum Büro zu entscheiden
  • Daten über die Diversität der Mitarbeiter­strukturen beim sog. „Diversity Management“, um einen Fokus im Recruiting auf eine größere Vielfalt der Belegschaft zu setzen. Dabei werden u.U. besondere Kategorien von personen­bezogenen Daten verwendet (Migrations­hintergrund, Religion), um gezielt Maßnahmen für personelle und kulturelle Vielfalt im Unternehmen umsetzen zu können. Diese unterliegen besonderen Recht­fertigungs­anforderungen.

Fazit

ESG und Arbeitsrecht sind untrennbar miteinander verbunden, auch wenn Inhalt und Grenzen der arbeits­rechtlichen Frage­stellungen in diesem Zusammen­hang teilweise noch unscharf sind. Schon die zunehmende Regulierung wird allerdings für mehr Klarheit sorgen. Unabhängig davon erfordert die steigende Bedeutung des Themas eine sorgfältige Prüfung von Maßnahmen und Zielsetzungen durch die „ESG-Brille“, um Haftungs- und Reputationsrisiken zu minimieren. Hierbei kann die Ausarbeitung einer arbeits­rechtlichen ESG-Strategie unterstützen.

Briefing Freshfields - ESG im Arbeitsrecht - Was steckt dahinter
(PDF - 193.9 KB)

Download PDF